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Die Ignoranz der gematik ist eine Schande – Sanktionen für Praxen müssen weg!

Im Februar 2022 beschloss die Gesellschafterversammlung der gematik, dass die Konnektoren zur Anbindung der Praxen an die Telematikinfrastruktur aufgrund ungültig werdender Zertifikate ausgetauscht werden sollen. Nun berichtete der Chaos Computer Club e. V. über die Möglichkeit, mit Hilfe einer speziellen Software neue Zertifikate auf den Geräten installieren zu können.

Rund 130.000 Konnektoren deutschlandweit sollen in Praxen demnächst ausgetauscht werden, weil Zertifikate auslaufen. Die gematik selbst hatte mitgeteilt, dass bei allen bis August 2023 ablaufenden Zertifikaten der Austausch der Konnektoren weiterhin „die einzig sinnvolle Alternative“ bleibe. Dies betreffe vor allem die Geräte der Firma CompuGroup Medical (CGM). Für Geräte, die ab September 2023 ablaufen, seien Wahlmöglichkeiten für den TI-Anschluss denkbar: Neben dem Konnektoraustausch sei eine Laufzeitverlängerung der TI-Gerätekarte oder ein Anschluss über eine Rechenzentrumslösung möglich, hieß es in einer Pressemitteilung der gematik. Verbindliche Aussagen zu den Alternativen machte sie jedoch nicht.

Dass Zertifikate aus Sicherheitsgründen ablaufen, ist bekannt. Und für die Erneuerung gibt es etablierte technische Verfahren. Dass die gematik jedoch keine Vorschläge für eine Möglichkeit zur Verlängerung bringt, ist beschämend – oder möglicherweise wirtschaftliches Kalkül.

Ärzte als Spielball von Wirtschaftsinteressen

„Es stellt sich bei uns zunehmend der Eindruck ein, dass die niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten zum Spielball von Wirtschaftsinteressen geworden sind“, heißt es dazu in einer Erklärung der KBV, der sich auch die KV Sachsen anschließt. Das Agieren der Industrie sei so nicht mehr tragbar. Es belaste die Praxen in unzumutbarer Weise. Für den Tausch eines Konnektors würden den Praxen zwar Kosten in Höhe von 2.300 Euro erstattet. Allerdings hat die Vergangenheit gezeigt, dass damit nicht der gesamte finanzielle Aufwand abgedeckt wurde, völlig unabhängig vom sonstigen Aufwand in den Praxen. Der GKV würden insgesamt Ausgaben von fast 400 Millionen Euro für ganz Deutschland entstehen, wobei inzwischen bezweifelt wird, ob sie tatsächlich notwendig sind.

Chaos Computer Club bietet kostenfreie Software

„Mit den TI-Konnektoren hat die gematik für diese Hersteller ein äußerst lukratives Kartell-ähnliches Geschäftsmodell geschaffen, denn die Geräte haben ein künstliches Verfallsdatum, weil Zertifikate auslaufen. Nach nur fünf Jahren im Dienst wollen die drei Hersteller erneut 130.000 Konnektoren verkaufen. Kein Wunder, dass ihnen wenig an einer alternativen Lösung gelegen ist.“, schreibt der Chaos Computer Club e. V. (CCC) auf seiner Internetpräsenz.

Der Vorwurf des CCC wiegt in diesem Zusammenhang schwer: Mindestens ein Hersteller habe vermutlich bewusst auf die Implementierung einer Möglichkeit zur Laufzeitverlängerung verzichtet, um ein weiteres Mal für die Konnektoren kassieren zu können. Am 15. Oktober 2022 hatte der CCC angekündigt, eine Software zur Verfügung zu stellen, die es möglich machen soll, auf Geräten zugelassener Hersteller neue Zertifikate zu installieren – auch bei den Konnektoren, denen die gematik eine „veraltete Technik“ bescheinigt habe. Damit wäre ein Austausch nicht notwendig.

„Wenn die gematik in Vertretung für das deutsche Gesundheitssystem das 400-Millionen-Euro-Geschenk annimmt und die erforderlichen Signaturen leistet, bietet der CCC den Praxen und Krankenhäusern Hilfe beim Einspielen der Patches an. Mit diesem Angebot wollen wir sicherstellen, dass bei den Herstellern nicht noch überraschend auftretende logistische Probleme die kostengünstigere Alternative verhindern.“, lautet das Angebot des Chaos Computer Club e. V.

Lesen Sie dazu auch die diesbezüglichen Äußerungen von Dr. Stefan Windau, Vorsitzender der Vertreterversammlung der KV Sachsen, im Editorial dieser Ausgabe.

Seitens der gematik gab es nach langem Zögern das Zugeständnis, Spezifikationen zu ändern, um Updates zu ermöglichen. Wie die Industrie dies aufnimmt und umsetzt, ist noch nicht bekannt.

Das für die Zertifizierung der Konnektoren zuständige Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hat inzwischen angekündigt, einer Verlängerung der Nutzungsdauer von bis zu maximal drei Jahren zustimmen zu können, da das – dadurch abgesenkte – Sicherheitsniveau noch tragbar sei.

Angesichts der anhaltenden Probleme mit der Telematikinfrastruktur haben die KBV und die Kassenärztlichen Vereinigungen die Politik zum Eingreifen aufgefordert. „Der Bundesgesundheitsminister muss ein Machtwort sprechen und auf die IT-Industrie zwingend einwirken, ihren Verpflichtungen nachzukommen“, so die Forderung. Die Hersteller müssten Produkte und Anwendungen liefern, die nicht nur pünktlich in den Praxen ankommen, sondern vor allem auch reibungslos funktionieren, verlangten die Vorstände der KBV und die für die IT verantwortlichen Vorstände der 17 Kassenärztlichen Vereinigungen in einer am 19. Oktober 2022 veröffentlichten Presseerklärung. Das sei bisher mitnichten so, wie der Fall der elektronischen Patientenakte (ePA) ausdrücklich zeige. Es dürfe daher auch nicht sein, dass die Praxen mit Sanktionen belegt würden für Dinge, die sie nicht zu verantworten hätten. „Die Sanktionen müssen weg!“, so die klare Forderung.

Der Vorstand der KV Sachsen hat diesbezüglich den nachfolgenden Brief an Gesundheitsminister Karl Lauterbach (} Seite 8) gesendet. Die Antwort des Ministers werden wir Ihnen natürlich ebenfalls zur Kenntnis geben.

Handlungsempfehlung für Ärzte:

Zunächst sind Kunden des Herstellers CompuGroup Medical (CGM) betroffen. Der IT-Hersteller hatte im Jahr 2017 als erster eine Zulassung für seinen Konnektor erhalten und die Praxen entsprechend früh damit ausgestattet. Seit Juni 2022 werden diese Praxen vom Hersteller kontaktiert und mit zeitlichem Vorlauf zum notwendigen Konnektortausch informiert. (Dieser beginnt sechs Monate vor Ablauf des Zertifikats. Zehn Kalenderwochen vor Ablauf werden die Praxen telefonisch durch den Hersteller erinnert, sechs Wochen vor Ablauf der Zertifikate erfolgt eine erneute Erinnerung per Einschreiben). Da nicht von einer schnellen Software-Lösung ausgegangen werden kann, empfehlen wir Ihnen, sich umgehend mit Ihren technischen Dienstleistern zu verständigen, bis wann der Tausch Ihres Konnektors erfolgen muss und welche Schritte Sie hierfür unternehmen sollten.

Die Auszahlung der TI-Pauschale für den Konnektortausch erfolgt über die KV Sachsen. Das hierfür vorgesehene Verfahren wird auf unserer Internetpräsenz ab Mitte November veröffentlicht.

Informationen

www.kvsachsen.de > Mitglieder > Telematikinfrastruktur > Konnektortausch
 

                                                    – Vorstand der KV Sachsen –

 

Offener Brief an den Bundesgesundheitsminister

                                                          Dresden, 2. November 2022

Herrn Bundesgesundheitsminister
Prof. Dr. Karl Lauterbach
Bundesministerium für Gesundheit
11055 Berlin

Herr Bundesminister – stoppen Sie den teuren Konnektortausch in den Arztpraxen!

Sehr geehrter Herr Minister Lauterbach,

deutschlandweit sollen 130.000 Konnektoren, die für die Praxistätigkeit der Ärzteschaft unabdingbar sind, ausgetauscht werden, weil sich die gematik während der fünf Jahre, seitdem die ersten Konnektoren verbaut wurden, nicht mit vernünftigen und kostengünstigen Alternativen befasst hat.

Dass Zertifikate aus Sicherheitsgründen eine begrenzte Gültigkeitsdauer haben müssen, steht außer Frage. Aber wie man diese erneuert, wirft nicht nur die Frage nach den Kosten auf, sondern auch, ob jemand und wer genau davon profitiert.

Aus Sicht der Ärzteschaft sind dies offenbar die Hersteller der Konnektoren. Pro Gerät werden dazu mindestens 2.300 Euro aufgerufen, zumindest ist dies der Preis, den die Ärzte erstattet bekommen sollen. Einige Hersteller verkauf(t)en ihre Technik jedoch zu weitaus höheren Preisen! Dennoch behauptet die gematik auf ihrer Internetpräsenz, dass sich die Gesellschafter „für eine sichere, risikoarme und wirtschaftliche Umsetzung entschieden“ hätten.

Der Chaos Computer Club e. V. tritt nun mit der Information an die Öffentlichkeit, dass es technisch durchaus möglich sei, mit Hilfe einer Software die Zertifikate und damit die Lebensdauer der Konnektoren zu verlängern. Wieso ist das keinem IT-Experten der gematik gelungen? Und warum fällt es der gematik offenbar schwer, dies überhaupt als Alternative anzuerkennen? Weil dann den Konnektorherstellern mehrere Hundert Millionen Euro für neue, unnötige Technik entgehen würden?

Herr Bundesminister, stoppen Sie diese Verschwendung von GKV-Finanzmitteln! Als Hauptgesellschafter der gematik ist es dem Bundesgesundheitsministerium möglich, dies durchzusetzen.

Wir werden diesen Brief und Ihre Antwort im Publikationsorgan der KV Sachsen, den KVS-Mitteilungen, veröffentlichen und sehen Ihrer Antwort mit Interesse entgegen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Klaus Heckemann
Vorstandsvorsitzender
der KV Sachsen

Dr. Sylvia  Krug
Stellvertretende Vorstandsvorsitzende
der KV Sachsen

Dr. Stefan Windau
Vorsitzender der Vertreterversammlung
der KV Sachsen