Kinderimpfung: Individualschutz, Herdenimmunität und Gemeinschaftsschutz
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
würden Sie Ihr Kind impfen lassen? Selten wurden in der Vergangenheit in der öffentlichen Diskussion so viel Aufmerksamkeit der Impfung von Kindern und Jugendlichen gewidmet und so viele gegenteilige Meinungen vertreten wie gegenwärtig bei der Corona-Impfung.
Diese Diskussion reiht sich ein in die Polemik bezüglich Zulassung vs. Impfempfehlungen für unterschiedliche Altersgruppen wegen schwerwiegender Nebenwirkungen sowie in die Diskussionen über gesellschaftspolitische Maßnahmen und Entscheidungen unter ungenügender Berücksichtigung von wissenschaftlich-epidemiologischen Erkenntnissen. Ist doch das Lockdown-Konzept zwar eine bevorzugte, jedoch nicht nebenwirkungsfreie Methode der Gesundheitspolitik. So sind differenzierte Einschätzungen, die auch das Kindswohl berücksichtigen, notwendig. Kinder- und Jugendärzte beobachten gegenüber der Vor-Corona-Zeit eine signifikante Zunahme psychischer Probleme, psychosomatischer Erkrankungen und reaktiver Störungen bei ihren Patienten.
Im Moment überwiegen die guten Nachrichten. Die Corona-Pandemie scheint in Deutschland und Europa vorläufig auf dem Rückzug zu sein, das Wachstum der Infektionszahlen ist gebrochen, die Zahl der Geimpften steigt. Aber solange das Virus noch zirkuliert, wird es sich weiterverbreiten, mutieren und weitere Menschen infizieren. Wir werden also mehr und in Zukunft immer wieder impfen müssen.
Nachdem die Priorisierung bei den Erwachsenen aufgehoben wurde und die Impfung für Kinder ab zwölf Jahren von der EMA für den Biontech / Pfizer-
lmpfstoff freigegeben wurde, steigen die Nachfragen nach Impfterminen für alle Altersgruppen in den Haus-/Fach- und Kinderarztpraxen.
Das Positionspapier der Sächsischen Impfkommission (SIKO) vom 7. Juni 2021 war für unsere sächsischen Praxen eine Orientierungs und Entscheidungshilfe, bevor am 10. Juni 2021 die Ständige Impfkommission (STIKO) die indikationsbezogene Empfehlung für 12- bis 17-Jährige aussprach. Elf Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland würden die Impfindikation aufweisen. Bundesweit sind das etwa eine halbe Million Impflinge, die damit das Recht auf einen Individualschutz haben.
Ich persönlich sehe aber in dieser Einschränkung eine Diskriminierung der überwiegenden Mehrheit der Jugendlichen, da gleichzeitig bei den Erwachsenen die Priorisierung aufgehoben wurde. Und ich plädiere dafür, allen gesunden impfwilligen Jugendlichen nach eingehender Beratung (die z. B. auch eine Carditis als mögliche Nebenwirkung umfasst) die Impfung anzubieten. Länder wie Israel, Kanada und die USA machen von diesem Vorgehen schon Gebrauch. Wenn auch schwere oder tödliche Krankheitsverläufe bei Kindern seltener sind als bei Älteren, könnten die Spätfolgen wie Long-Covid oder Post-Covid möglicherweise sogar häufiger auftreten.
Bei der Frage der Herdenimmunität oder des Gemeinschaftsschutzes muss man diskutieren, ob die Impfung der Kinder und Jugendlichen außer Betracht gelassen werden kann. Der Präsident des Robert Koch-Institutes, Lothar Wieler, nannte einen Anteil Immuner von 80 Prozent als Zielmarke für die Herdenimmunität. Minderjährige haben einen Anteil von 16 Prozent an der Bevölkerung. Wenn man dieses Ziel erreichen will, wird es ohne Impfung unserer Kinder und Jugendlichen wohl nicht gehen.
Die Impfungen gehören in die Praxen der Kinder- und Jugendärzte, die ihre Patienten am besten kennen. Eine Voraussetzung für ein zügiges Impfen dieser schutzbedürftigen Personengruppe ist allerdings die regelmäßige und planbare Belieferung der Praxen mit Impfstoff.
Abschließend würde ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen fragen wollen: ,,Würden Sie Ihr Kind jetzt impfen lassen?“
Bleiben Sie gesund.
Ihre Barbara Teichmann