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KIM – kommt Ihnen das „spanisch“ vor?

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Älteren unter uns verbinden dieses Wort gegebenenfalls noch mit einer landwirtschaftlichen Betriebsform. Das waren ab Ende der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts landwirtschaftliche Großbetriebe oder Kombinate, die zur industriellen Mast von Broilern (!), Gänsen und Rindern und zur Produktion von Eiern bestanden haben. Kim ist die Sprache der Krim im westafrikanischen Sierra Leone und gehört zur Sprachfamilie Niger-Kongo. Das wäre durchaus als „spanisch“ einzuordnen. Manch einen könnte es auch an eine Zigarettenmarke erinnern, die besonders bei Frauen beliebt war. Aber auch Koninklijk Instituut voor de Marine, die niederländische Marineakademie oder das Kompetenzzentrum Innovation und Marktorientierte Unternehmensführung, ein Institut der Hochschule Ludwigshafen, werden mit KIM abgekürzt. Später wurde die Abkürzung für Keyboard Input Monitor bei Heimcomputern von Commodore verwendet. Kim Fisher aus der mdr-Talkshow „Riverboat“ verbinden Sie möglicherweise ebenfalls mit KIM.

Es geht also bei KIM um rohe Eier, um etwas, das wir grundsätzlich nur schwer verstehen, um Rauchschwaden, strategisches Vorgehen, Unternehmensführung, Computer und Ansager?

KIM steht heute für Kommunikation im Medizinwesen – ein Standard, der von der gematik entwickelt wurde, für den sicheren Austausch von sensiblen Daten im Gesundheitswesen ohne Einrichtungs-, System- und Sektorengrenzen. Zukünftig soll KIM die bisherige Arztkommunikation über KV-Connect ablösen. Aus diesem Grund sollen perspektivisch über KIM sämtliche Anwendungen abgebildet werden, die derzeit noch über KV-Connect laufen, z. B. der eArztbrief, die KV-Abrechnung, die DMP-Übertragung, der Datenaustausch in der Gesetzlichen Unfallversicherung oder der Labordatentransfer.

Zukünftig soll der Informationsaustausch im Gesundheitswesen nur noch verschlüsselt und digital über die Dienste dieses Kommunikationsstandards per eNachricht als eArztbrief laufen. Mit eArztbriefen können digitalisierte Informationen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Laborberichte, Medikationspläne und vieles mehr verschlüsselt versendet und empfangen werden.

Damit können die Inhalte nicht von anderen unbemerkt mitgelesen oder verändert werden. Es wird nicht nur für Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten und Apotheker, sondern auch für Krankenhäuser, Krankenkassen, Kassenärztliche Vereinigungen und weitere medizinische Einrichtungen möglich sein, medizinische Dokumente elektronisch und sicher über die Telematikinfrastruktur (TI), dem digitalen Gesundheitsnetz für Deutschland, zu versenden und zu empfangen. Dabei werden die hohen Maßstäbe von Datenschutz, Schweigepflicht und Vertraulichkeit gewahrt. Daten dürfen nicht verfälscht werden, an der Identität des Absenders darf kein Zweifel bestehen. Zertifizierte KIM-Dienste erfüllen diese Anforderungen.

Zwischenzeitlich hat die gematik rund zehn Anbieter für KIM zertifiziert, darunter auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). Alle KIM-Dienste sind gemäß den gesetzlichen Vorgaben mit jedem Praxisverwaltungssystem (PVS) und jedem Konnektor kompatibel. Man ist somit frei bei der Entscheidung für einen KIM-Dienst-Anbieter.

Mit KIM wird nun auch ein in das PVS zu integrierendes Verzeichnis mit verifizierten und damit sicheren Adressen bereitgestellt. Damit werden eine Übersicht und die Auswahl von Empfängern mühelos für alle Nutzer möglich. Eine Vergütungsstruktur, die es leisten könne, die Kosten im Zusammenhang mit den KIM-Diensten zu decken, ist nach Angaben der KBV etabliert.

Für die Nutzung sind zunächst jedoch die nötigen Voraussetzungen in den Praxen zu schaffen, der E-Health-Konnektor zu installieren, der Heilberufsausweis – der u. a. für die Signierung von eDokumenten benötigt wird – und die Institutionskarte (SMC-B) zu beschaffen, die KIM-E-Mail-Adresse zu bestellen (je Betriebsstätte wird mindestens eine KIM-Adresse benötigt, über die die Praxis kommuniziert). Aber dann könne der Dienst von großem Nutzen sein. Man schätzt, dass in Deutschland jährlich ca. 130 Millionen Arztbriefe und Befundberichte versendet werden.

Im Gegensatz zu vielen anderen Anwendern nutzen wir in unserer radiologischen Praxis seit einigen Jahren KV-Connect nicht nur zur Übermittlung von Abrechnungsdaten. Wir versenden unsere Befunde zunehmend als eArztbrief. Das Konzept ist allmählich gewachsen – vom Pilotprojekt zum Alltagsgebrauch. Nunmehr verlassen ca. 30 Prozent der Befundbriefe unsere Praxis als rechtssicher qualifiziert signierte (QES) eArztbriefe ohne Verzögerung. Die Rückspiegelung der Erfahrungen unserer Kolleginnen und Kollegen mit dem Projekt ist grundsätzlich positiv.

Die eArztbriefmodule waren relativ problemlos in die PVS der Praxen zu integrieren. Die Ablage der kompatiblen elektronischen Dokumente erfolgt nunmehr ohne Medienbruch in der Regel über einen Knopfdruck. Das Scannen entfällt. Praxissysteme sind außerdem in der Lage, Briefinhalte in die Dokumentation des PVS (strukturiert) zu übernehmen oder sie für andere Berichte und Briefe weiter zur Verfügung zu stellen.

Das Umdenken und die Umstellung der gewohnten papiergebundenen Abläufe waren oftmals schnell gelungen. Liebgewordene Gewohnheiten waren aber auch manchmal zugunsten effektiverer Abläufe zu ändern. Letztlich ist der Umgang mit E-Mail und Messaging-Diensten aus dem privaten Umgang bekannt. Noch vor rund zehn Jahren waren solche Dienste wenig verbreitet, heute möchten die Wenigsten auf eine entsprechende Anwendung verzichten.

Ähnlich ist die Entwicklung in unserem Projekt. Wenn Untersuchungsbefunde vom Vormittag nicht am Nachmittag im Mailkasten der Zuweiser verfügbar sind, kommen die ersten Rückfragen. Eine häufige Frage von Patienten nach einer Untersuchung ist „Und wann ist der Befund bei meiner Ärztin oder meinem Arzt?“ Die Antwort könnte in Zukunft sein, „Nur wenn Sie sich richtig beeilen, sind Sie noch vor meinem Befund dort. Und sollen zeitgleich auch die eben erstellten Bilddaten zur Verfügung gestellt werden?“

Bisherige Nutzungsmöglichkeiten der TI hatten wenig Potenzial, den Verwaltungsaufwand in den Praxen zu senken. Ein analoger Arztbrief wird in der Regel nachträglich digitalisiert, damit die Daten im PVS der zweiten Praxis zur Verfügung stehen. Der berechtigte Ruf nach Entlastung im administrativen Bereich wird immer lauter. Nun gibt es im Rahmen der Digitalisierung erstmals dafür eine Chance. Ausgedruckte Arztbriefe gehören mit hoher Wahrscheinlichkeit bald der Vergangenheit an.

Nicht nur das eAuto wird alltäglich. Auch eArztbrief, ePA, eAU, eRezept und eMedikationsplan werden üblich. Medizinische Informationsobjekte, kurz MIOs, als digitale Informationsbausteine mit medizinischen Daten wie digitaler Impfpass, Mutterpass, Kinderuntersuchungsheft und ein zahnärztliches Bonusheft sind weit in der Entwicklung vorangeschritten. Nun sollen der Krankenhaus-Entlassbrief und auch der (Röntgen-)Bildpass folgen.

Weitere Anwendungen werden mit der TI 2.0 in der „Arena für digitale Medizin“ an den Start gehen. Es müssen administrative Entlastungen für die medizinischen Berufe geschaffen werden und einen Beitrag liefern, damit aus dem Gesundheitsmanagement eine Teamleistung wird. Digitale Anwendungen werden entscheidend dazu beitragen, dass semantisch einheitliche und strukturierte medizinische Informationen, die für die Behandlung der Patienten benötigt werden, schneller und lückenloser verfügbar sind.

Offenbar stimmt es dann schon, KIM hat etwas von rohen Eiern, denn es geht um hoch sensible personenbezogene Gesundheitsdaten. Was uns „spanisch“ vorkommt, ist für die Einordnung und Umsetzung mancherorts schwierig. Aber der Rauch muss sich lösen. Die Kultur muss sich wandeln und es braucht strategische Ziele bei der Ausrichtung des Unternehmens Praxis. Das Arbeiten mit Computer und Vernetzung wird in der Zukunft Alltagsnormalität sein. Und ja, es braucht offenbar eine durchdachte Moderation für die nächsten Schritte in eine gewandelte Welt, um die gebotenen Ziele einer Digitalisierung auch im Gesundheitswesen zu erreichen und jede Generation von Ärztinnen und Ärzten in den Strukturwandel einzubinden.

In diesem Sinne grüßt Sie sehr herzlich

 

Ihr Klaus Hamm