Neue Bereitschaftspraxen in Mittweida, Borna, Grimma und Wurzen ab April 2021
Die Umsetzung der Bereitschaftsdienstreform in Sachsen schreitet weiter voran. Ab 2. April 2021 erweitern gleich vier neue Bereitschaftspraxen das ambulante medizinische Versorgungsangebot im Freistaat.
Die KV Sachsen ist Betreiber dieser Praxen, die der medizinischen Versorgung der Bevölkerung auch außerhalb der üblichen Sprechzeiten von Arztpraxen dienen. Die Bereitschaftspraxen arbeiten in Kooperation mit den jeweiligen Kliniken an den Krankenhausstandorten Mittweida, Borna, Grimma und Wurzen.
Dr. Klaus Heckemann, Vorstandsvorsitzender der KV Sachsen und niedergelassener Arzt: „Mit der Eröffnung der neuen Standorte wurden von der KV Sachsen nunmehr insgesamt 34 Bereitschaftspraxen flächendeckend im Freistaat Sachsen eingerichtet. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die bereits bestehenden Strukturen bei der ambulanten medizinischen Versorgung von der Bevölkerung gut angenommen werden. Von den etablierten Bereitschaftspraxen wissen wir, dass unsere diensthabenden Ärzte und die Klinikärzte kollegial zusammenarbeiten und so sicherstellen können, dass Patienten auf Basis einer Ersteinschätzung eine indikationsgerechte Versorgung zukommt. Diese Tatsache und auch die gemeinsame Nutzung ambulanter und stationärer Strukturen führt langfristig zu einer Entlastung der Notaufnahmen.“
Unbedingt zu beachten ist, dass Bereitschaftspraxen keine Anlaufstellen für Personen mit Verdacht auf Covid-19 oder zur Testung von Patienten auf Infektion mit dem Corona-Virus sind.
Eine Übersicht aller Bereitschaftspraxen in den sächsischen Regionen mit aktuellen Öffnungszeiten und Adressen aller Standorte ist auf der Internetpräsenz der KV Sachsen hinterlegt.
Informationen
www.kvsachsen.de > Bürger > Bereitschaftspraxen und -sprechstunden in Ihrer Region
– Bereitschaftsdienst/hag –
Hausbesuch im Bereitschaftsdienst ist grundsätzlich Pflicht – eine externe juristische Bewertung
Auch in außergewöhnlichen Zeiten wie der derzeitigen Corona-Pandemie haben Versicherte zu sprechstundenfreien Zeiten einen Anspruch auf eine ausreichende und umfassende ambulante ärztliche Versorgung, die im Bedarfsfall auch Hausbesuche umfasst.
Um Verstöße bei der Durchführung des Hausbesuchsdienstes zu vermeiden, erhalten Sie eine Information aus externer juristischer Sicht.
An einem Sonntag meldete sich eine Frau über die 116 117 und forderte den ärztlichen Bereitschaftsdienst für Ihren 80-jährigen Vater an. Dieser war positiv auf Covid-19 getestet worden und befand sich seitdem in häuslicher Quarantäne. Einige Tage vor dem Anruf der Tochter hatte sich sein Allgemeinzustand deutlich verschlechtert. Er verweigerte Essen und Trinken, wodurch es zu einer Austrocknung kam. Nach Aussage der besorgten Tochter konnte er sich nicht mehr auf den Beinen halten. Die Tochter wurde telefonisch durch den Bereitschaftsdienstarzt kontaktiert. In diesem Gespräch schilderte sie nochmals den kritischen Gesundheitszustand ihres Vaters und bat um einen Hausbesuch. Der Bereitschaftsdienstarzt verweigerte den Hausbesuch aufgrund der Covid-19-Erkrankung. Nachdem sich der gesundheitliche Zustand des Versicherten in den kommenden Tagen weiter verschlechterte, wählte die Tochter den Notruf. Der eingesetzte Notarzt veranlasste umgehend die Einweisung ins Krankenhaus. Im Krankenhaus wurde ein Verschluss der Beinarterien diagnostiziert. Nach erfolgter Beinamputation verstarb der Patient.
Während die Familie des Verstorbenen trauert, stellen sich zwei Fragen:
- Hat der Bereitschaftsdienstarzt seine vertragsärztlichen Pflichten verletzt?
- Und wenn ja, welche Konsequenzen drohen aus dem unterlassenen Hausbesuch?
Gesetzlicher Sicherstellungsauftrag der KV Sachsen
Zur Erfüllung ihres gesetzlichen Sicherstellungsauftrages nach § 75 Abs. 1 und Abs. 1b Satz 1 SGB V hat die KV Sachsen auch zu den sprechstundenfreien Zeiten die vertragsärztliche Versorgung zu gewährleisten (Bereitschaftsdienst). Gesetzliche Vorgaben zur Organisation des Bereitschaftsdienstes bestehen jedoch nicht. Der Gesetzgeber hat die Einzelheiten der Organisation des Bereitschaftsdienstes den Kassenärztlichen Vereinigungen überlassen, da diese am besten die Versorgungsbedürfnisse vor Ort einschätzen können (vgl. BT-Drucks. 17/6906, S. 56). Die KV Sachsen hat dabei hinsichtlich der Organisation des Bereitschaftsdienstes einen weiten Ermessensspielraum (vgl. Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 18.02.2019 – L 1 KA 11/18 B ER –).
Verpflichtung zur Teilnahme am Bereitschaftsdienst
Die Verpflichtung der Vertragsärzte zur Teilnahme am Bereitschaftsdienst folgt unmittelbar aus dem Zulassungsstatut des Vertragsarztes (vgl. BSG, Beschluss vom 17.07.2013 – B 6 KA 8/13 B –; Urteil vom 15.09.1977 – 6 RKa 8/77 –, BSGE 44, 252, 256). Die Zulassung bewirkt nach § 95 Abs. 3 Satz 1 SGB V, dass der Vertragsarzt Mitglied der für seinen Kassenarztsitz zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung wird und zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung im Umfang seines aus der Zulassung folgenden Versorgungsauftrages berechtigt und verpflichtet ist. Diese Verpflichtung zur Teilnahme an der Versorgung schließt auch die Teilnahme am Bereitschaftsdienst nach den geltenden Regelungen der Bereitschaftsdienstordnung der KV Sachsen ein.
Erledigung von Hausbesuchsanforderungen
Im Rahmen ihrer Satzungsautonomie nach § 81 SGB V hat die KV Sachsen in § 8 Abs. 4 der Bereitschaftsdienstordnung in der seit 1. Januar 2020 geltenden Fassung (BDO KV Sachsen) geregelt, dass der Bereitschaftsdienstarzt Hausbesuchsanforderungen der Ärztlichen Vermittlungsstelle zeitnah und im Fall von mehr als zwei Anforderungen unverzüglich, das heißt, ohne schuldhaftes Zögern, anzutreten hat. Er ist nach § 8 Abs. 3 Satz 1 BDO KVS verpflichtet, alle von der Ärztlichen Vermittlungszentrale der KV Sachsen vermittelten Hausbesuchsanforderungen durchzuführen.
Soweit der Bereitschaftsdienstarzt im Einzelfall Fragen zu den Vermittlungsaufträgen, z. B. zur Notwendigkeit von Hausbesuchen aufgrund der übermittelten Indikationen hat, ist eine Rückfrage bei der Ärztlichen Vermittlungszentrale durchzuführen. Die ordnungsgemäße Durchführung des Bereitschaftsdienstes und die abschließende Entscheidungskompetenz über die Durchführung eines Hausbesuchs obliegt in Zweifelsfällen allein der Ärztlichen Vermittlungszentrale.
In Sachsen gilt: Der Bereitschaftsdienstarzt ist nicht befugt, über die Notwendigkeit einer Hausbesuchsanforderung zu entscheiden. Allein der Ärztlichen Vermittlungszentrale obliegt diese Einschätzung.
In jedem Fall eines vermittelten Fahrdienstauftrages ist der Patient persönlich aufzusuchen. Eine fernmündliche Beratung des Patienten ist ausgeschlossen, soweit mit der Ärztlichen Vermittlungszentrale über ein solches Vorgehen kein Einvernehmen erzielt werden kann. Eine eventuelle telefonische Beratung erfolgt vorrangig durch die Ärztliche Vermittlungszentrale (§ 6 Abs. 5 Ziff. 3 BDO KVS). Auch eine Erkrankung des Patienten an Covid-19 stellt keinen Rechtfertigungsgrund dar, von einem angeforderten Hausbesuch abzusehen. Mit den zur Verfügung stehenden medizinischen Schutzmasken kann sich der Bereitschaftsdienstarzt ausreichend schützen.
Hausbesuche als „zentrales Element“ der Versorgung
Die Regelungen der Bereitschaftsdienstordnung der KV Sachsen begegnen auch rechtlich, vor dem Hintergrund der Berufsausübungsfreiheit, keinen Bedenken. Es ist rechtlich zulässig, den Vertragsärzten die Pflicht aufzuerlegen, Hausbesuche – auch während des Bereitschaftsdienstes – durchzuführen (vgl. zur grundsätzlichen Verpflichtung der Kassenärzte zur Durchführung von Hausbesuchen BSG, Urteil vom 12.12.2012 – B 6 KA 3/12 R –). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist die Durchführung von Besuchen – auch im Bereitschaftsdienst – ein „zentrales Element der vertragsärztlichen Versorgung“ (BSG, aaO, Rn. 23).
Parallele berufsrechtliche Verpflichtung
In sachlicher Hinsicht bestehen wegen der ebenfalls bestehenden berufsrechtlichen Verpflichtung zur Teilnahme am Bereitschaftsdienst gemäß § 26 Abs. 1 der Berufsordnung der Sächsischen Landesärztekammer (BO SLAEK) neben den o. g. Pflichten aus der Bereitschaftsdienstordnung parallele Sicherstellungs- und Teilnahmepflichten. Die detaillierten Regelungen der Bereitschaftsdienstordnung zur Durchführung des Bereitschaftsdienstes sind gem. § 26 Abs. 2 BO SLAEK bindend.
Disziplinarrechtliche und strafrechtliche Konsequenzen
Werden die von der Vermittlungszentrale vermittelten Hausbesuchsanforderungen nicht oder nicht rechtzeitig durchgeführt, stellt dies einen vertragsärztlichen Pflichtverstoß des Bereitschaftsdienstarztes dar. Daher kann ein Disziplinarverfahren eingeleitet werden (§ 9 Abs. 6 Satz 4 BDO KVS, § 1 Disziplinarordnung KVS), was erhebliche Konsequenzen für den betroffenen Arzt haben kann. Ungeachtet einer möglichen disziplinarischen Ahndung des Pflichtverstoßes drohen strafrechtliche Sanktionen. Im zuvor geschilderten Fall steht die Frage im Raum, ob sich der Arzt möglicherweise wegen Totschlags durch Unterlassen (§§ 212, 13 StGB) verantworten muss.
Im Bereitschaftsdienst gilt auch während der Pandemie: Gesundheit und Wohlergehen der Patienten sind das oberste Anliegen eines jeden Arztes.
– Daniel Martschink, Rechtsanwalt bei KMR – Kiesgen-Millgramm Rechtsanwälte, Leipzig –