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Corona – die zweite Bilanz

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

vielleicht erinnern Sie sich an mein Editorial aus dem letzten Spätsommer „Corona – eine erste Bilanz“, in dem neben einigen Kritikpunkten an der Arbeit der politischen Entscheidungsträger ein doch positives Gesamturteil ausgestellt werden konnte. Gerade die stringenten Maßnahmen des letzten Frühjahrs waren unbedingt erforderlich.

Leider sieht es zu Beginn des neuen Jahres nun nicht mehr ganz so gut aus. Und dies bezieht sich zunächst nicht auf die unterschiedlichen Ansichten, ob etwas mehr Öffnung oder nicht derzeit angesagt wäre oder, ob die Sinnhaftigkeit der Einschränkungen noch gewahrt ist und, ob eine Verhältnismäßigkeit zwischen den einzelnen Berufsgruppen besteht. Eine allgemein nachvollziehbarere Wichtung diesbezüglich vorzunehmen wird allerdings immer notwendiger. Gerade dem Föderalismus in Deutschland mit seinen Schlingerkursen kann hierbei kein gutes Zeugnis ausgestellt werden.

Natürlich werden jetzt viele sagen, es bringt nichts, zurückzuschauen, sondern man muss jetzt nach vorne blicken und versuchen, die Probleme zu lösen. Gut, dass ist durchaus richtig, aber letzteres eine Selbstverständlichkeit. Bei allem, was gewesen ist, ist es aber unablässig, doch auf die letzten Monate zu blicken – auch, um endlich Konsequenzen zu ziehen.

Zwei kardinale Fehler aber sind besonders fatal: Der erste war der viel zu späte Lockdown hier in Sachsen, gerade als Grenzgebiet, im Dezember. Hätte man auf die Empfehlungen der Experten gehört und bereits mehrere Wochen eher konsequent gehandelt, und nicht so sehr auf das Weihnachtsgeschäft geschielt, welches verständlicherweise von den verschiedenen Interessenverbänden eingefordert wurde, und vielleicht auch mal etwas die in diesem Jahr anstehenden Wahlen ausgeblendet, und nicht beständig versucht, ein bestimmtes Klientel nicht noch mehr zu verärgern, wäre diese katastrophale Folgesituation des Dezembers in unserem Bundesland zu verhindern gewesen.

Der viel gravierendere, nicht verzeihbare Fehler allerdings muss bei der Bundesregierung verortet werden und betrifft – erwartungsgemäß – die Bestellung des Impfstoffes. Wäre zum frühest möglichen Zeitpunkt ausreichend gerade der in Deutschland entwickelte Biontech-Pfizer-Impfstoff für die gesamte Bevölkerung bestellt worden, zusätzlich zu den getätigten Bestellungen bei anderen Firmen, dann hätte man vielleicht statt der notwendigen Menge, um die gesamte Bevölkerung durchzuimpfen, nicht wie jetzt die zweifache sondern vielleicht die zweieinhalb- bis dreifache Menge für unser Land vorgehalten. Das hätte circa drei Milliarden Euro mehr gekostet. Aber, und das ist das Entscheidende, ein Tag Lockdown in Deutschland kostet genau diesen Betrag. Das für eine seriöse Finanzpolitik notwendige Sparen erfolgte hier genau an der falschen Stelle! Es wurde wohlwissend, um angeblich im europäischen Sinne zu handeln, ein irreparabler Schaden für unser Land generiert.

Gern wird an dieser Stelle das Argument gebracht, wir hätten dann noch mehr Impfstoff über den eigenen Bedarf hinaus bestellt, was unökonomisch sei … Diese Impfdosen hätte man spätestens am Ende des Jahres problemlos an andere Länder, so zum Beispiel nach Afrika, abgeben können. Damit hätte man vielleicht einen der wenigen Fälle in 70 Jahren Entwicklungshilfe gehabt, bei dem die Spende wirklich und direkt am Ende bei den Bedürftigen ankommt und nicht zum Großteil versickert! Die Kritik, welche geäußert werden muss, betrifft diesbezüglich, und dies sei ausdrücklich betont, die handelnden Personen in den entsprechenden politischen Positionen, insbesondere in Berlin und Brüssel. Jeder weiß, ohne die Liste abzuarbeiten, wer gemeint ist.

Lob hingegen hat sich, und das mag zunächst überraschend klingen, das System der Marktwirtschaft als solches verdient. Es wird Zeit, mit dem allgemein verbreiteten Vorurteil aufzuräumen, die Konkurrenz unter den westlichen Industrienationen wäre für die einheitliche Bekämpfung der Corona-Pandemie nachteilig.

War man zu Beginn der Pandemie vielfach der Ansicht, dass gerade das Gewinnstreben und die Globalisierung, insbesondere auch die massiv zugenommene Reisetätigkeit der Menschheit weltweit für den Ausbruch der Pandemie verantwortlich waren, was vielfach mit Sicherheit auch ein unterstützendes Momentum gewesen ist, so hat sich doch inzwischen recht schnell gezeigt, dass letztendlich die Bekämpfung der Erkrankung – insbesondere durch den Wettbewerb zwischen den auf der ganzen Welt verteilten Pharmafirmen – gerade dadurch massiv beschleunigt und überhaupt erst möglich wurde. Natürlich, und das ist eine schon seit langem und vielfach berechtigt geäußerte Kritik, wird die Forschung bei seltenen und keinen Gewinn versprechenden Erkrankungen oft stiefmütterlich behandelt. Aber bei der hier anzutreffenden, die ganze Welt befallenden Pandemie zeigt sich, wie das Gesamtsystem funktionieren kann. Noch niemals ist ein Impfstoff in einer derart kurzen Zeit entwickelt, getestet und nunmehr auch bereits einer extrem großen Anzahl an Menschen weltweit verabreicht worden!

Auch bei der Schutzausrüstung verhält es sich ähnlich. Noch gut erinnern wir uns an die Zeit vor einem Jahr, als überall im Lande viel zu wenig Masken, Handschuhe und Schutzanzüge vorhanden waren. Die Kritik traf völlig zu Recht die Bundesregierung, die es in den letzten Jahrzehnten versäumt hat, einen effektiven Katastrophenschutz aufzubauen und die Gesundheitsämter der Republik so weit zu stärken, dass eine ausreichende personelle und materielle Ausstattung gewährleistet war. Dadurch waren viele Krankenhäuser und Praxen in einer absoluten Notsituation auf sich alleine gestellt, und die Kontaktverfolgung der Erkrankten immer wieder nicht möglich. Während letzteres, der Ausbau der Gesundheitsämter, eine Aufgabe für die nächsten Jahre bleiben wird, und der dortige Mangel derzeit mit Hilfskräften, unter anderem der Bundeswehr, ausgeglichen werden muss, so wurde die Produktion jeglicher Art von Schutzmaterialien in kürzester Zeit weltweit so hochgefahren, dass es derzeit kaum noch einen Mangel gibt.

Wir haben auch gesehen, dass ein totalitäres Regime, wie in China, natürlich in deutlich kürzerer Zeit Maßnahmen ergreifen kann, und die Verbreitung der COVID-19-Erkrankungen schneller eindämmen kann. Dies ist aber nur mit die Freiheit der Bürger in massiverer Form beeinträchtigenden Methoden möglich, und mit unseren Grundrechten nicht vereinbar. Nach Anlaufschwierigkeiten hat sich auch das System der westlichen Industriestaaten auf differierende, aber letztendlich doch ähnliche Methoden zur Bekämpfung der Erkrankung geeinigt.

Die privat organisierte Wirtschaft funktioniert auch an anderen Stellen immer wieder aufs Neue. Während im Frühjahr noch in ganz Deutschland in rauen Mengen Nudeln und Toilettenpapier gehortet wurden, immer weit über den persönlichen Bedarf und den der Familie hinaus, zeigte sich alsbald, dass es keine wirklichen Engpässe gab. Und die es auf den Punkt bringende Kennziffer, auch wenn die Schlussrechnung noch längst nicht gemacht ist: Die globale Wirtschaftsleistung ist im gesamten Jahr 2020 nicht einmal um fünf Prozent gesunken. Natürlich haben auch die Staaten, mit unterschiedlicher Intensität, geholfen, die Einbußen der Betriebe und einzelner Menschen abzufedern, in Deutschland zum Beispiel mit Kurzarbeitergeld und den verschiedenen Corona-Hilfen. Letztendlich hat die westliche Welt bewiesen, dass auch eine derartige große Krise in einem liberalen System gut gemeistert werden kann, auch wenn die Organisation von staatlicher Seite (in Deutschland zum Beispiel der Schutz der Alten- und Pflegeheime, eine viel zu schleppende Teststrategie, die Verteilung der Unterstützungsgelder) teilweise völlig unverständlich war.

Für Kritik generell am System der freien Marktwirtschaft mag zum Beispiel die Bankenkrise vor zwölf Jahren mit all ihren Folgen herhalten. Corona dagegen gibt hierfür nichts her.

Nach all dem Gesagten bleibt wieder einmal das Fazit: Je mehr der Staat und vor allem die Parteipolitik direkt in die Prozesse eingreift, je mehr handelnde Personen ihre Meinung dazugeben, umso behäbiger läuft die Problemlösung. Für uns als KV ergibt sich daraus die Hoffnung, dass endlich die niedergelassenen Kollegen das Heft des Handelns bei den Coronaimpfungen in die Hand bekommen, um schnellstmöglich die erforderlichen Impfzahlen zu erzielen, um die Pandemie in Deutschland zu überwinden. Voraussetzung dafür bleibt allerdings eine ausreichende Menge an Impfstoff sowie die vollständige Ausnutzung der seit Mitte Dezember bereitstehenden Impfzentren in Sachsen. Ärztinnen und Ärzte haben sich dankenswerterweise für die Durchführung der Impfungen in mehr als ausreichender Anzahl dafür bereiterklärt.

Mit besten Grüßen, bleiben Sie gesund.

 

Ihr Frank Rohrwacher