Corona – Gedanken zum Einstieg in den Ausstieg
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
zuerst möchte ich eine Überzeugung äußern: Es wird – und muss – auch eine Zeit nach Corona geben, denn – so könnte man (wenn auch etwas frivol) sagen – die Gegenwart wird tendenziell eher überschätzt. Wir werden auch dahin kommen, die jetzt aktuellen Probleme in einen historischen Kontext einzuordnen.
Daran, dass dies eigentlich schon heute notwendig ist, wurde ich am 8. Mai anlässlich eines Hausbesuches bei der 82-jährigen Ruth K. erinnert. Ich fragte sie, ob sie sich an das Kriegsende erinnern könne und sie erzählte von Stromsperren und Hunger. Ganz leise wagte sie dann anzudeuten, dass das damals doch auch sehr schlimm gewesen sei. Ich war erschüttert, in was für einer vorsichtigen Art und Weise sie meinte, sich nur äußern zu dürfen und das, obwohl wir uns nun schon seit fast 30 Jahren kennen. Darauf konnte ich nur bemerken, dass sie doch jedes Recht habe, die aktuellen Corona-Probleme weit hinter den eigenen Kriegs- und Nachkriegserfahrungen einzuordnen.
Gehöre ich deshalb nun zu den „Verharmlosern“ oder besser gleich „Corona-Leugnern“? Mitnichten, ich will auch keineswegs zu denen gehören, die im Nachhinein alles besser gewusst haben. Auch wenn ich mir die Freiheit nehme, nicht unbedingt heute schon eine abschließende Meinung zu allen zukünftigen Entwicklungen zu haben, werde ich mich doch andererseits aktuell deutlich äußern, wenn ich Maßnahmen für falsch, gefährlich oder auch nur für unzureichend oder überzogen halte.
Damit möchte ich zu dem Titelbild dieses Heftes kommen. Seit etwa zehn Wochen mahne ich die präventive Testung des Pflegepersonals an. Dem wurde mit dem Argument der nicht ausreichenden Testkapazitäten begegnet. Hierbei war zum einen die tagesbezogene maximale Kapazität der Labore gemeint, aber auch die Menge der insgesamt vorhandenen oder mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit lieferbaren Testkits (ohne übrigens als Staat wenigstens alle verfügbaren Tests zu ordern, das hat man den Laboren – bei unklarer Perspektive der Inanspruchnahme und Finanzierung – überlassen). Wenn nun die Testung von Profifußballern und Lehrern prioritär wäre, sollten wir das nicht widerspruchslos hinnehmen.
Es gibt aber vielleicht noch Hoffnung. Am 15. Mai hat der Bundesrat dem „Zweiten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ zugestimmt. Dieses Gesetz entspricht in mehreren Punkten meinen Erwartungen. Zum Ersten wird in einer Änderung des Infektionsschutzgesetzes meiner am 28. Februar erstmalig erhobenen Forderung nach einer Meldepflicht der Labore bzgl. der Gesamtzahl der erfolgten Testungen entsprochen. Dies ist zwingend notwendig, da die Zahl der Neuinfektionen ohne Kenntnis der Anzahl der erfolgten Testungen nur wenig Wert hat. Warum es dafür allerdings fast drei Monate brauchte, ist schwer nachvollziehbar. Die wichtigste Änderung ist jedoch die des SGB V, die allerdings erst einmal nur die Voraussetzung dafür schafft, dass der Bundesgesundheitsminister per Rechtsverordnung nachfolgende wesentliche Aspekte regeln kann: Es kann bestimmt werden, dass zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung Corona-Tests auch bei klinisch gesunden Versicherten vorgenommen werden können. In der Begründung des letzten Änderungsantrages der Regierungsfraktionen wird hierzu klar die Zielrichtung genannt: „Dies entspricht der verbreiteten Forderung der Wissenschaft nach repräsentativen bevölkerungsmedizinischen Tests. Auch könnten regelmäßig Tests im Umfeld besonders gefährdeter Personen durchgeführt werden“.
Ergänzend werden auch Testungen auf das Vorliegen von Antikörpern (sobald es solche mit ausreichender Sensitivität und Spezifität gibt) möglich sein. Sehr pragmatisch ist auch die Vorschrift, wonach die Aufwendungen für die Testungen aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds finanziert werden sollen. Falls nun die vom Parlament ermöglichte Rechtsverordnung schnell vom BMG erlassen werden sollte, könnte sie vielleicht noch zeitgleich mit dem Beginn der Testung der Lehrer in Sachsen in Kraft treten.
Wenn die vulnerablen Personengruppen maximal geschützt werden, ist sicher beim Ausstieg aus dem Lockdown mehr als nur der vorsichtige Einstieg (in die Normalität) möglich. Dieser ist auch unbedingt erforderlich, denn der wirtschaftliche Schaden ist heute schon immens. Natürlich braucht es dafür auch die Verantwortung jedes Einzelnen. Trotzdem ist das mediale Schüren von Hysterie gerade hierfür eben nicht hilfreich, da auf Dauer die Glaubwürdigkeit leidet. Wenn jeden Tag die neuen Höchststände gemeldet werden, ohne einmal diese Daten in Relation darzustellen, kann rationales Verhalten der Bevölkerung nicht wirklich erwartet werden. Natürlich kann die Gesamtzahl der Toten nur steigen, denn kein Toter wird wieder lebendig. Ich bin weit davon entfernt, nachträglich zu kritisieren, dass noch vor wenigen Wochen eine Verdopplungszeit von erst zehn und dann 14 Tagen als Grundlage für ein vorsichtiges Lockern des Lockdown benannt wurde. Aber könnte man heute nicht einmal konstatieren, dass eine Fortschreibung der (tendenziell noch sinkenden!) durchschnittlichen Neuinfektionszahlen der 2. und 3. Maiwoche (Stand 25. Mai) prognostisch eine Verdopplungszeit von 278 Tagen bedeutet? Haben Sie irgendwo in den Medien einmal eine Kritik an der Berechnungsweise der Reproduktionszahl gelesen oder gehört, bevor diese verändert wurde? Vor der Änderung der Berechnungsmethode gingen in die Berechnung der Reproduktionszahl die Neuinfektionen der letzten vier Tage im Vergleich zu den vier vorangegangenen Tagen ein. Trotz der offensichtlich inkompletten Meldungen der Gesundheitsämter an den Wochenenden wurde also teilweise ein Zeitraum inkl. Wochenende mit einem Zeitraum von vier Werktagen verglichen, mit der bekannten Folge der erheblichen Schwankungen dieses Parameters. Das hätte auch einmal einem Journalisten auffallen können. Dazu kommen dann noch die bisher fehlenden bzw. inkompletten Zahlen der erfolgten Testungen (seit dem 9. April gibt es hierzu Veröffentlichungen im Epidemiologischen Bulletin des RKI, allerdings nur auf Basis freiwilliger Meldungen von etwa 170 der ca. 270 Labore in Deutschland).
Hoffen wir also, dass – auf validen Daten basierend – möglichst bald eine weitgehende Aufhebung der Beschränkungen möglich wird. Dafür ist allerdings der Schutz der unbestritten am meisten Gefährdeten erforderlich und hoffentlich werden dabei die Grenzen der Testkapazität nicht limitierend sein. Für Profifußballer und Lehrer kann dann möglicherweise nur das übrigbleiben, was wir nicht zwingend für die Pflegekräfte benötigen. Denn wir dürfen alte Menschen wie Ruth K. nicht damit abspeisen, dass sie ja schließlich schon Schlimmeres als eine Corona-Pandemie er- und überlebt haben.
In diesem Sinne grüße ich Sie herzlich
Ihr Klaus Heckemann