Licht und Schatten: Gesetz zur Reform der Notfallversorgung
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
seit kurzem liegt der Referentenentwurf des Gesetzes zur Reform der Notfallversorgung vor. Er unterscheidet sich wesentlich vom bisherigen, völlig inakzeptablen Arbeitsentwurf und geht nun grundsätzlich in die richtige Richtung. Aber – Licht und Schatten liegen bekanntlich nah beieinander.
Gemeinsame Notfallleitsysteme sollen durch eine sinnvolle Vernetzung der Rufnummern des Rettungsdienstes und des vertragsärztlichen Bereitschaftsdienstes, also der jeweiligen Leitstellen, als übergeordnete Funktionsstrukturen geschaffen werden, ohne dass die jeweiligen Leitstellen räumlich zusammengelegt werden müssen. Die dazu auch geplanten begleitenden Regelungen sind im Wesentlichen sinnvoll. So besteht die Chance, Schnittstellenprobleme tatsächlich zu lösen oder zumindest zu entschärfen. Auch viele Beteiligte in der stationären Versorgung und Politiker beklagten die Überlastung der Notaufnahmen in den Krankenhäusern. Minister Spahn beugte sich der normativen Kraft des Faktischen, dass Patienten, ob indiziert oder nicht, nun einmal die Notaufnahmen ansteuern.
Insoweit machen die von ihm geplanten Integrierten Notfallzentren aus der Not eine Tugend. Als erste Anlaufstellen für ambulante Patienten sollen sie quasi neben den Notaufnahmen in den Kliniken errichtet werden, fachlich geleitet durch die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen). Dies macht Sinn. Allerdings gibt es Proteste von Krankenhausträgern und einigen Fachgesellschaften gegen diese geplante Struktur bzw. gegen die Leitung durch die KVen. Hier liegt entweder ein Missverständnis oder ein Nicht-Verstehen-Wollen vor! Es kann keinesfalls darum gehen, dass die KVen in die Notaufnahmen hineinregieren sollen oder wollen oder diese gar leiten. Das steht so auch nicht im Gesetzentwurf. Es wäre fachlich und organisatorisch auch völlig absurd! Sehr wohl macht aber die geplante Aufgabenverteilung Sinn: Die KVen sind für die Integrierten Notfallzentren zuständig, die primär die ambulanten Fälle versorgen. Die Notaufnahmen betreuen primär die Patienten, die über den Rettungsdienst etc. und als offensichtlich schwerkranke Notfallpatienten auch in die Notaufnahmen gehören. Und diese werden durch die Kliniken fachlich und organisatorisch geleitet. Das muss so sein und wird auch so bleiben! Integrierte Notfallzentren und Notaufnahmen kooperieren selbstverständlich eng. Wer dies nun beklagt, hat entweder das Prinzip nicht verstanden – oder es geht um die Angst, Patienten zu verlieren. Dann sollte man das aber auch so benennen.
Krankenhäuser, die keine Integrierten Notfallzentren erhalten, sollen einen Abschlag auf die Notfallvergütungen von 50 Prozent hinnehmen müssen. Dies halte ich für falsch. Denn was wird passieren? Jedes Krankenhaus wird um des wirtschaftlichen Überlebens Willen versuchen, eben auch ein Integriertes Notfallzentrum (INZ) zu bekommen, unabhängig davon, ob es erforderlich ist oder nicht! Es gibt sicherlich genügend Krankenhäuser, die im Sinne der Daseinsfürsorge nötig sind und die sinnvollerweise auch Notaufnahmen vorhalten, ohne dass die Schaffung einer INZ-Struktur aus medizinischen und wirtschaftlichen Aspekten sinnvoll wäre. Dort nun Integrierte Notfallzentren zu installieren, bloß um finanzielle Abschläge zu vermeiden, wäre kontraproduktiv. Denn wie wird die Lebenswirklichkeit aussehen? Die Landräte, und nicht nur die, werden ihre Landesregierung „bitten“, dafür zu sorgen, dass eben auch an den Klinken, wo sie nicht nötig wären, solche Integrierten Notfallzentren geschaffen werden. Und letztlich hat laut Gesetzentwurf die Landesregierung schon einen erheblichen Einfluss auf die Festlegung der Standorte der Integrierten Notfallzentren.
Das Ganze muss ja auch noch bezahlt werden. Positiv ist, dass das Geld dafür zusätzlich von den Kostenträgern bereitgestellt werden soll, auch das ist ein wesentlicher und positiver Unterschied zum Arbeitsentwurf.
Aber natürlich steckt der Teufel im Detail. Der Gemeinsame Bundesausschuss, der Bewertungsausschuss und andere Gremien haben da ein Wörtchen mitzureden. Und das dauert. Und wir werden sehen, was dann am Ende wirklich dabei herauskommt. Eines aber sollte den Entscheidern klar sein: So wie sich die Kliniken berechtigt wehren, politisch gewünschte Strukturen allein zu bezahlen, so ist es auch für die Vertragsärzte und Psychotherapeuten völlig inakzeptabel, noch mehr für die Notfallversorgung zu bezahlen als bisher, und sei es auch nur, um etwas vorzufinanzieren! Schon jetzt ist auch die KV Sachsen bis an die Grenze des Vertretbaren gegangen mit dem, was wir als Ärzte und Psychotherapeuten für Strukturänderungen und die Verbesserung der Notfallversorgung aus eigener Tasche bezahlen. Dies hat nachvollziehbar zu Unruhe und Spannungen geführt, die Vorstand und Vertreterversammlung seit Jahren intensiv beschäftigen, was aber letztlich im Spagat der KV zwischen gesetzlich verpflichtendem Auftrag einerseits und Interessenvertretung andererseits nicht anders zu lösen war. Hier muss das Prinzip gelten, wer bestellt, bezahlt.
Ich wünsche mir, dass die finale Regelung des Gesetzes nicht die Strukturbereinigung der Krankenhauslandschaft durch die Hintertür einführt (geplante Abschläge, siehe oben), sondern dass sinnvolle länderbezogene Öffnungsklauseln es unserer Landesregierung ermöglichen, Integrierte Notfallzentren dort entstehen zu lassen, wo sie fachlich sinnvoll sind. Gleichzeitig sollte eine ungerechtfertigte Abstrafung von Kliniken verhindert werden, die für die Versorgung unabdingbar sind, aber dafür keine Integrierten Notfallzentren brauchen. Dass die bereits aufgebauten Strukturen sinnvoll eingebunden werden können, ist ebenso eine Conditio sine qua non! Die INZ müssen ja auch personell besetzt werden und zwar von uns Niedergelassenen! Man stelle sich das Paradoxon vor: Wir besetzen ein neu geschaffenes, fachlich nicht nötiges, aber auf politischen Druck hin entstandenes Integriertes Notfallzentrum und bedienen die Wünsche der Politik nach Service und das rund um die Uhr! Wer soll dann die Regelversorgung leisten?
Wenn auch dieses Gesetz strukturell viel Sinnvolles hat, so werden wir doch erst später sehen, ob sich die Patientenströme sachgerechter verteilen als jetzt, wovon ich aber ausgehe. Es ist zu befürchten, dass der verbesserte Service zu einer Zunahme der Fallzahlen führen kann, wenn man Notaufnahmen und INZ gesamthaft betrachtet. Schon jetzt sehen wir, dass Portalpraxen teils von Patienten dazu missbraucht werden, sich dort Wiederholungsrezepte etc. zu holen.
Irgendwann muss die Politik in ihrem Handeln umsetzen, was sie längst schon weiß: Dass Krankenversorgung ohne Überforderung der Strukturen langfristig nur dann auf dem vorhandenen hohen Level gelingen kann, wenn die Inanspruchnahme in bestimmten Fällen auch etwas kostet (Notfallgebühr). Service im Sinne von Hedonismus ist nicht bezahlbar und kann nicht Ziel einer Reform sein. Natürlich ist das ein vermintes Feld. Aber es ist trotzdem eine Tatsache, der sich die Politik stellen muss. Kurzum, der strukturelle Ansatz dieses Gesetzes ist richtig, aber er muss erweitert und modifiziert werden um die Möglichkeit, sinnvoll Bestehendes zu integrieren und Neues nur dort zu schaffen, wo es fachlich sinnvoll, personell leistbar und finanziell vertretbar ist. Die Kostenträger dürften dies wohl auch so sehen, ich denke, die Politik wird es letztendlich auch so sehen (müssen).
Und eines steht fest: Kliniken und KVen können diese Probleme nur im Miteinander lösen. Klare Strukturen sind dafür eine Voraussetzung – das Miteinander hängt immer von Einzelnen ab.
In diesem Sinne grüßt Sie
Ihr Stefan Windau