Leserbrief an die KV Sachsen
Kommentar zu den KVS-Mitteilungen 09 / 2019 zum Standpunkt „Ist die Bereitschaftsdienstreform wirklich alternativlos?“ und „Die Pilotregion Annaberg / Zschopau: Es lief viel besser als erwartet!“
Grimma, 29.09.2019
Als angestellter Klinikarzt und nebenberuflich tätiger „KV-Bereitschaftsdienstarzt“ möchte ich einige Anmerkungen zu den o. g. Artikeln und dem Thema Bereitschaftsdienstreform machen.
Seit über zehn Jahren übernehme ich regelmäßig einige KV-Bereitschaftsdienste von Kollegen, die diese selbst nicht durchführen möchten. Von meiner Spezies gibt es bekanntlich einige Kollegen vermutlich in allen Regionen Sachsens. Das gleich vorangestellt: Die Hauptmotivation für mich ist natürlich eine Nebenverdienstmöglichkeit. Nichtsdestotrotz bietet diese Dienstform, teilweise im Gegensatz zu Notarzt- und Klinikdienst, andere Eindrücke und vielfach auch ein positives Feedback der zu behandelnden Patienten in Ihrer häuslichen Umgebung.
Wenn ich die Berichte und Artikel hinsichtlich der anstehenden Bereitschaftsdienstreform Revue passieren lasse, ist die Bewertung nahezu ausschließlich positiv. Stichwort „Es lief viel besser als erwartet“. Kritische Stimmen oder Bemerkungen fehlen meist.
Wie sieht die aktuelle „KV-Bereitschaftsdienst“-Realität bzw. Struktur im ländlichen Raum aus Sicht des „Aushilfskellners“ aus?
- Ich bin diensttuend in einer überschaubaren Region mit auch überschaubaren Einsatzzahlen! Die Arbeit am Folge(wochen)tag ist in den meisten Fällen z.Zt. unbeeinträchtigt möglich.
- Ich nehme die Anrufe der Patienten persönlich entgegen, triagiere selbst! Berate den Patienten hinsichtlich der weiteren Vorgehensweise (Hausbesuch / Rettungsdienst / selbstständige Vorstellung Krankenhaus oder nur Telefonkontakt). Oftmals ist ein direktes Gespräch Arzt-Patient ausreichend.
- Ich fahre mit eigenem PKW und lege meine Route sowie mein Zeitmanagement selbst fest.
Insbesondere Punkt 2 und 3 sind unschlagbare Vorteile des jetzigen Systems und waren bzw. sind Motivation für mich diese Dienste zu übernehmen.
Mit der Umsetzung der Bereitschaftsdienstreform und Wegfall von Punkt 1 – 3 wird mein Engagement, und ich glaube auch das vieler andere Kollegen, die in selber Art diese Dienste übernehmen, enden. Sehr große Gebiete mit annehmbar hoher Einsatzfrequenz (die mir alle zentral vorgegeben werden) bzw. auch „Sitzdienste“ sind neben meiner Haupttätigkeit in der Klinik nicht mehr realisierbar.
Summa summarum hoffe ich auf eine erfolgreiche Reform des Bereitschaftsdienstes im Sinne aller niedergelassenen Kollegen und der Patienten zur Entlastung der Notaufnahmen.
Ich für meinen Teil, für das ländliche Gebiet, empfand das aktuelle System in meiner Region (Grimma, Colditz) in den letzten zehn Jahren in weiten Teilen als funktionstüchtig. Ein Anlaufpunkt „Praxis“ am Wochenende wäre sicher in einigen Fällen sinnvoll gewesen (den konnte ich natürlich nicht bieten), aber die „Freiheiten“ der Punkte 1 – 3 haben dies erträglich gestaltet.
– Dr. Matthias Richter, Grimma –
Stellungnahme der KV Sachsen zum Leserbrief
Sehr geehrter Herr Dr. Richter,
üblicherweise vernehmen wir als KV Sachsen aus den noch nicht reformierten Regionen die allgemeine Auffassung, dass der Bereitschaftsdienst vor Ort bestens organisiert sei und funktioniere und somit doch alles belassen werden könne. Allerdings sind auf politischer Ebene Entwicklungen erkennbar, denen man nach unserer Auffassung mit klaren, zukunftsweisenden Konzepten entgegentreten muss. Neue Konzepte und Ansätze heißt aber auch, ein vielleicht heute noch funktionierendes System zu verändern. Die Bereitschaftsdienstreform hat nun gerade dieses Ziel, auch in Zukunft funktionierende Strukturen aus den gegenwärtigen zu entwickeln.
Wie aus dem Bericht in den KVS-Mitteilungen 09 / 2019 zu entnehmen ist, hat die KV Sachsen im Rahmen einer sechsmonatigen Pilotphase seit dem 2. Juli 2018 die neuen Strukturen der Bereitschaftsdienstorganisation mit Bereitschaftspraxen, zentral organisiertem Fahrdienst und zentraler Vermittlung der Hausbesuche in den Bereitschaftsdienstbereichen Annaberg / Mittlerer Erzgebirgskreis, Görlitz / Niesky und Delitzsch / Eilenburg getestet und Erfahrungen gesammelt. Aus dem vorgenannten Bericht ist im Ergebnis der Evaluation auch eine positive Bewertung der Reform in der Pilotregion Annaberg / Mittlerer Erzgebirgskreis zu entnehmen. Es hat sich gezeigt, dass die neuen Strukturen tragfähig sind. Natürlich gab es auch vereinzelt Ärzte, die sich grundsätzlich oder auch nur zu einigen Fragen negativ geäußert haben. Jedoch ist dieser Anteil, gemessen an der Gesamtzahl, sehr gering.
Uns ist bekannt, dass die Ärzte den Bereitschaftsdienst eher selten als willkommene Nebenverdienstmöglichkeit und hauptsächlich als zusätzliche Belastung ansehen. Jedoch ist es Aufgabe der KV Sachsen, die medizinische Versorgung auch zu den sprechstundenfreien Zeiten sicherzustellen.
Nun möchten wir konkret auf Ihre drei Kritikpunkte eingehen:
Zu 1: Bei der nicht vermeidbaren Vergrößerung der Bereitschaftsdienstbereiche entstehen zwar längere Fahrzeiten, aber der Arzt wird wesentlich entlastet, indem er das Fahrzeug nicht selbst steuern muss. Vor allem unter Sicherheitsaspekten wird die Anwesenheit des Fahrers in den Pilotregionen besonders geschätzt. In der Regel ist der größte Teil der Hausbesuche bis 24:00 Uhr durchzuführen. Zwischen 00:00 Uhr und 07:00 Uhr gibt es nur vereinzelte Fälle. Sechs Fälle waren eine einmalige Ausnahme während der Pilotphase (Bereich Annaberg). Die durchschnittliche Anzahl der Einsätze in der tiefen Nacht betrug im Quartal III / 2018 und IV / 2018 gemessen an der Gesamteinsatzzahl: im Bereich Annaberg / MEK 0,8 Hausbesuche, Görlitz / Niesky 0,6 Hausbesuche und Delitzsch 0,5 Hausbesuche. Eine Überschreitung der Dienstzeit gab es lediglich in 14 Fällen von max. 60 Minuten und in zwei Fällen von max. 90 Minuten. Davon entfallen allerdings auch noch etwa die Hälfte auf Dienste, die zu anderen Zeiten als werktags 07:00 Uhr endeten. Dem Arzt steht es frei, z. B. für den planbaren Dienst am Folgetag die Patientenbestellung bzw. seinen Dienst im Krankenhaus entsprechend anzupassen. Bitte berücksichtigen Sie, dass unabhängig von den Einsatzzahlen ein Garantiehonorar in Höhe von 50 Euro pro Stunde für die gesamte Bereitschaftsdienstzeit gezahlt wird. Ca. 80 Prozent aller Dienste in den Pilotregionen wiesen ein erarbeitetes Honorar (zum Teil deutlich) unterhalb des Garantiehonorars aus. Es besteht damit für Sie, abgesehen von der Möglichkeit, vor allem Dienste ohne Arbeitspflicht am Folgetag zu übernehmen, auch die Option, mit einer geringeren Anzahl von Diensten das gleiche Einkommen zu erzielen.
Zu 2: Bei Anrufen über die Rufnummer 116117 erfolgt die Anrufannahme bzw. Triagierung in der Ärztlichen Vermittlungszentrale und damit eine Entlastung des jeweiligen Bereitschaftsdienstarztes. Eine sachgerechte und damit auch standardisierte Triagierung ist notwendig, um die immer stringenter werdenden gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen. Es steht derzeit (ein sächsisches Alleinstellungsmerkmal) schon ein beratender Arzt in der Ärztlichen Vermittlungszentrale zu bestimmten Zeiten zur Verfügung, wobei dies zukünftig auf die gesamte Dienstzeit ausgeweitet werden soll. Ziel ist es, in begründeten Fällen die Notwendigkeit der im Bereitschaftsdienst angeforderten Hausbesuche durch einen telefonischen Patientenkontakt im Vorfeld zu prüfen. Weitere Aufgabe der Ärztlichen Vermittlungszentrale ist es auch, die Patienten während der Öffnungszeiten in die Bereitschaftspraxen zu lenken, sofern dem Patienten ein Besuch zumutbar ist. Leider haben wir in dem nun mittlerweile über zwanzigjährigem Beobachtungszeitraum feststellen müssen, dass Patienten bei einer direkten Anrufannahme durch den diensthabenden Bereitschaftsdienstarzt teilweise abgewiesen wurden, obwohl ein Behandlungsbedarf vorlag. Bei eintretenden Komplikationen (bis hin zu Todesfällen) oder Beschwerden war dann die KV Sachsen im Sinne eines Organisationsverschuldens in Haftung bzw. Erklärungsnot und nicht der Arzt allein.
Zu 3: Die Einrichtung eines zentral organisierten Fahrdienstes mit medizinisch geschultem Fahrer und der Abholung des diensthabenden Arztes vom Praxis- / Wohnort (soweit im Bereitschaftsdienstbereich liegend) ergibt diverse Vorteile. So kann der Fahrer den Arzt bei der Durchführung des Hausbesuchs unterstützen. Durch die zukünftige Anwendung des „Prinzips des nächsten Fahrzeuges“ sowie des „intelligenten Routings“ nach geplantem Ausbau der Vermittlung auf ganz Sachsen werden unnötige Fahrtstrecken vermieden. Wichtig ist es an dieser Stelle zu erwähnen, dass die Priorisierung der Fahraufträge auch weiterhin allein beim diensthabenden Bereitschaftsdienstarzt liegt, aber immer verbunden mit einer Rückmeldung an die Ärztliche Vermittlungszentrale.
Wir hoffen, Ihre Bedenken etwas mindern zu können und glauben, dass es bei nüchterner Betrachtung doch nicht so erhebliche Auswirkungen auf Ihre Diensttätigkeit geben wird, wie Sie momentan befürchten. Insofern hoffen und wünschen wir, dass es Ihnen möglich ist, auch weiterhin Dienste im Rahmen des Bereitschaftsdienstes zu übernehmen.
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
Dr. med. Klaus Heckemann | Dr. med. Sylvia Krug |
Vorstandsvorsitzender | Stellv. Vorstandsvorsitzende |