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Offener Brief der Ärzteschaft Crimmitschau und Antwort der KV Sachsen

Offener Brief der Ärzteschaft Crimmitschau:

Crimmitschau, 24.05.2019

Nach eingehender Diskussion über die uns vorliegenden Pläne zur Reform des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes wendet sich die Crimmitschauer Ärzteschaft öffentlich an alle KV-Entscheidungsträger.

Überarbeiten Sie dringend diese Reformpläne!

  1. Im Dienstbereich Zwickau wohnen auf 950 km2 fast 320.000 Einwohner. Die Einrichtung einer einzigen Portalpraxis am Heinrich-Braun-Krankenhaus (HBK) in Zwickau anstelle mehrerer bisher dezentral gelegener Praxen der Dienstärzte bedeutet für die ländliche Bevölkerung (ca. 230.000 Pat.) eine extreme Verschlechterung der medizinischen Betreuung. Patienten z. B. aus Niederfrohna erreichen die 45 km entfernte Portalpraxis schnellstens nach 50 Minuten mit dem PKW. Dabei ist der Dienstbereich Zwickau noch flächenmäßig der kleinste im Freistaat.
  2. Die angestrebte Entlastung der vielen dezentralen Notaufnahmen wird so nicht erreicht, einzig die Notaufnahmen der Stadt Zwickau, besonders die des HBK, werden weniger frequentiert. Da es vielen außerhalb Zwickaus wohnenden Patienten unzumutbar wird, die weitentfernte Portalpraxis aufzusuchen, wird sich die Anzahl der Hausbesuche im Dienst erhöhen.
  3. Nach der Bereitschaftsdienstordnung der KVS vom 18.10.2017 besteht keinerlei Möglichkeit, wie z. B. in Bayern, eine auch telemedizinisch abzuklärende Erkrankung durch den Fahrdienst zu betreuen. Dies widerspricht einer modernen medizinischen Versorgung. Die Behandlung von Bagatellerkrankungen im Hausbesuch, nur weil der Patient die Portalpraxis nicht erreicht, entspricht nicht dem Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 12 SGB V.
  4. Es kann der Zwang zum Fahrdienst mit Chauffeur – von der Garage zum Abholort bis zum Patienten und zurück – nie wirtschaftlich sein. Fahrten belasten unnötig die Umwelt und Kostenstruktur. Die längeren Wege rauben wertvolle Arbeitszeit des Dienstarztes! Auch bei Teilung des Gebiets ist die Diagonale immer noch 50 km, das bedeutet unter Umständen fast 2 Arztstunden für einen Hausbesuch. Längere Wartezeiten der Patienten auf wirklich indizierte Hausbesuche werden die Folge sein.
  5. Dass eine solche Verschlechterung der Patientenbetreuung und Umweltbelastung von jedem Arzt mit mindestens 1.200,00 € / Jahr finanziert werden soll, ist für uns völlig unverständlich. 24 Stunden gezahlter Mindestumsatz werden so schon aufgebraucht. Lange Zeiten im Auto schmälern das ohnehin schlanke Honorar pro Stunde und belasten wegen Nichtstun die Nerven, besonders in Nachtzeiten! Defacto wird die Patientenbetreuung in den Dienstzeiten aus unternehmerischer Sicht zum Nulltarif erbracht. Dies kann nicht im Interesse der durch die Ärzteschaft gewählten KV Verhandlungsführer gegenüber den Krankenkassen sein. Gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer würden zum Generalstreik schreiten!
  6. Ob die Bereitschaftsdienstreform bei nicht bestehendem Angestelltenverhältnis zur KV den Grundsätzen des freien Arztberufes entspricht, ist berufspolitisch nach eventueller einstweiliger Verfügung zu diskutieren und juristisch zu klären. Die Freiheit der Willensentschließung nach § 1 des Grundgesetzes als Arzt und Unternehmer wird durch Nötigung vis compulsiva nach § 240 StGB (Nötigung zur Nutzung eines Fahrzeugs mit Chauffeur bei unter Umständen unsicherer Fahrzeugführung, Zusammenarbeit mit aufgezwungenem Personal und Dokumentationsformen in der Portalpraxis) zumindest eingeschränkt.
  7. Neue junge Kollegen sind so nicht in ländliche Regionen zu locken und schon in Rente befindliche Ärzte werden sicher schneller die Kassenzulassung abgeben. Dies ist entgegen aller gesellschaftlichen Bemühungen!
  8. Durch die vorgegebenen personellen, beschränkten medikamentösen und diagnostischen Möglichkeiten in der Portalpraxis ist die ärztliche Entscheidungsfreiheit begrenzt und da kein Arbeitsverhältnis besteht, ist die Frage der eigenen Arzt-Haftpflicht ungeklärt!
  9. Wir selbst demontieren durch die geplante Reform unsere ärztliche Freiberuflichkeit und werden schrittweise zum angestellten Dienstleister. Die Reform diskriminiert darüber hinaus die Patientengruppe der PKV Patienten. Sie werden ebenso wie Verstorbene nicht berücksichtigt. Eine korrekte Liquidierung nach GOÄ ist bei diesem KV-Dienstsystem nicht möglich.
    Die Crimmitschauer Ärzteschaft erwartet auch in Kenntnis des Protestes nicht nur der Kollegen aus Niesky von den Verantwortlichen der KVS eine Klärung dieser Punkte. Eine offene Diskussion im großen Kollegenkreis kann zu einer besseren Betreuung unserer Patienten beitragen.
  10. Warum Bewährtes zerschlagen? Die Überlastung der Notfallambulanzen ist dem durch die Politik geförderten Anspruchsverhalten der Patienten zuzuschreiben und nicht dem bestehenden Dienstsystem! Verstummen wir schon wieder bezüglich der Wahrheit? Geht es nur über medialen Druck?

Eine Veröffentlichung dieses Offenen Briefes im Mitteilungsheft der KVS und Ärzteblatt erachten wir Crimmitschauer Ärzte als konstruktive Anregung zur Diskussion zum Wohl unserer Patienten und aller niedergelassenen Ärzte.

Dr. Modes im Namen der Ärzteschaft Crimmitschau (Stammtisch)

Antwort auf Ihren „Offenen Brief“ zur Bereitschaftsdienstreform der KV Sachsen

Sehr geehrter Herr Dr. Modes,

gerne kommen wir Ihrer Bitte nach Veröffentlichung Ihres „Offenen Briefes“ in unserem Mitteilungsheft nach. Gleichzeitig erlauben wir uns aber, auf die wesentlichen Punkte direkt einzugehen. Der Übersichtlichkeit halber haben wir die Themen Ihres „Offenen Briefes“ fortlaufend nummeriert.

  1. Hier wie auch für einige nachfolgende Punkte gilt, dass wir zum einen mittlerweile über eigene Erfahrungen mit den Pilotregionen verfügen, zum anderen aber im Wesentlichen eine Neustrukturierung vorgenommen haben, die sich nah an die bereits erfolgten Umgestaltungen in Thüringen und Bayern anlehnt. Das hier geschilderte Problem der großen Entfernungen ist nachvollziehbar, allerdings nur in wenigen Ausnahmefällen praktisch relevant.
  2. Aus unseren Pilotregionen haben wir keinerlei Hinweis darauf, dass sich die Anzahl der Hausbesuche im Dienst erhöhen würde, eher im Gegenteil. Ein Grund dafür mag auch sein, dass (und leider nicht nur sehr selten) bisher, auch teilweise überproportional, eigene Patienten im Bereitschaftsdienst besucht wurden.
  3. Ihren Satz: „Nach der Bereitschaftsdienstordnung der KVS vom 18.10.2017 besteht keinerlei Möglichkeit, wie z. B. in Bayern, eine auch telemedizinisch abzuklärende Erkrankung durch den Fahrdienst zu betreuen.“ können wir inhaltlich nicht verstehen. Das, was vielleicht gemeint sein könnte, ist die Möglichkeit der fernmündlichen bzw. telemedizinischen Abklärung von Patientenproblemen zu Zeiten des Bereitschaftsdienstes. Genau dies ist allerdings mit der Tätigkeit eines Arztes in der Bereitschaftsdienstvermittlungszentrale bei unserer Reform von Anfang an geplant gewesen und zu bestimmten BD-Zeiten auch schon umgesetzt, was übrigens bundesweit bisher einmalig ist.
  4. Auch wenn die Argumentation mit dem Umweltschutz gerade ein wenig en vogue ist, sollten wir hier doch schon rationaler diskutieren. Das Thema ist ansonsten unter Punkt 1 schon beantwortet. Zusätzlich soll an dieser Stelle aber erwähnt werden, dass das so genannte „Wegezeitenmodell“ zumindest eine gewisse Honorierung der Wegezeit für die Ärzte ermöglicht, was im Übrigen ein nicht zu unterschätzender Solidarbeitrag der Ärzte in den Großstädten zu Gunsten der Peripherie ist.
  5. Das „schlanke Honorar“ pro Stunde relativiert sich schon ein wenig, besonders wenn man es mit der Stundenvergütung im Notarztdienst vergleicht. Dabei ist allerdings auch anzumerken, dass die Teilnahme am kassenärztlichen Bereitschaftsdienst untrennbarer Teil der Zulassung zur kassenärztlichen Tätigkeit ist, während die Notärzte die Dienste (außerhalb ihrer Klinikdienste) ausschließlich auf freiwilliger Basis leisten. Die „unternehmerische Sicht“ verbietet sich also hier. Bezüglich eines Generalstreikes kann man nur auf das Hoppenthallersche Desaster in Nürnberg verweisen.
  6. Eine juristische Klärung der hier angesprochenen Frage steht jedem frei. Die Erfolgsaussichten hierfür liegen unserer Ansicht nach bei null.
  7. Gerade für junge Kollegen ist die Dienstbelastung in den Kliniken mittlerweile leider mit der wichtigste Grund, dann doch lieber in der Niederlassung tätig zu werden. Hier haben wir, ähnlich wie mit dem Bild des halb vollen oder halb leeren Glases, grundsätzlich eine andere Perspektive.
  8. Eine Einschränkung der ärztlichen Entscheidungsfreiheit durch ein reduziertes Equipment können wir nicht erkennen. Ganz im Gegenteil besteht durch die Zugriffsmöglichkeiten auf die apparative Ausstattung der Kliniken eine deutlich bessere Situation. Wo haben Sie in der täglichen Praxis zum Beispiel die Möglichkeit, akut eine Röntgenaufnahme zu erstellen? Ähnliches gilt für die Sonographie, die nach wie vor nur eine Minderheit auch der Hausärzte in der Praxis vorhält. Eine Auswirkung auf die Arzt-Haftpflicht können wir nicht erkennen.
  9. Völlig falsch verstanden haben Sie wohl die neu angedachte Regelung für Privatpatienten bzw. die Liquidation der Leichenschau. Diese Leistungen werden zu 100 Prozent und damit ohne einen Abzug für in Anspruch genommene Strukturen und das Personal durch den Dienst habenden Arzt liquidiert. Das ist ganz klar das Gegenteil einer Benachteiligung.
  10. In dem von Ihnen zuletzt angesprochenen Punkt möchten wir Ihnen allerdings 100 %ig Recht geben. Wir fordern seit vielen Jahren vehement und auch öffentlich eine finanzielle Eigenbeteiligung der Patienten, zumindest für die Inanspruchnahme des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes. Hätte die Politik dazu den Mut gehabt, wäre mit Sicherheit eine solche Reform nicht erforderlich geworden. Dies bedauern wir sehr. Auf der anderen Seiten wäre ein „Aussitzen“ der neuen gesetzlichen Vorgaben höchst riskant geworden, da eine vollständige Übertragung der Sicherstellung des Bereitschaftsdienstes an die Krankenhäuser drohte, dies zu immensen Honorarabflüssen und im Weiteren auch relativ schnell zur grundsätzlichen und uneingeschränkten Öffnung der Krankenhäuser für alle ambulanten Leistungen geführt hätte.

Lassen Sie uns also zum einen gemeinsam weiter für eine ausgewogene Eigenbeteiligung der Patienten eintreten, zum anderen aber auch gemeinsam versuchen, die Bereitschaftsdienstreform, so wie auch in anderen Bundesländern, zum Erfolg führen.

Wir hoffen, dass wir in der Veranstaltung am 3. Juli 2019 Ihre Hinweise aufnehmen und auf Ihre Kritikpunke eingehen konnten und sind weiterhin gern bereit, mit Ihnen die Gespräche fortzuführen.

Mit freundlichen kollegialen Grüßen
    
Dr. med. Klaus Heckemann                                 Dr. med. Sylvia Krug
Vorstandsvorsitzender                                           Stellv. Vorstandsvorsitzende
 

Die Nummer, die hilft – wenn man sie kennt: 116117

Die 116117 ist in der Bevölkerung noch immer zu wenig bekannt, belegen Umfrageergebnisse der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Daher wird die KBV nun mit einer Kampagne erneut auf die Rufnummer 116117 (Elf Sechs Elf Sieben) aufmerksam machen. Am 30. August 2019 findet in Berlin die Auftaktveranstaltung dazu statt.

Zeitgleich startet passend dazu die Online-Werbung. Auch auf Großflächenplakaten wird Ihnen die Servicenummer begegnen. Im Vordergrund steht, den Bekanntheitsgrad der Servicenummer zu erhöhen. Bitte beteiligen Sie sich daran!

Patienten sollen über ambulante Versorgungsangebote aufgeklärt werden

Rechtzeitig zum Kampagnenstart erhalten alle Praxen ein Starter-Paket mit Informationsmaterialen: 100 Servicecards zum Auslegen in Ihrer Praxis oder zum Mitgeben für Ihre Patienten sowie ein Poster für Ihre Praxis. Weiteres Material können Sie kostenfrei über einen zentralen Versanddienstleister bestellen.

Die Rufnummer des ärztlichen Bereitschaftsdienstes wird mit ganz besonderen Motiven in den Fokus gerückt. Die 116117 gewährleistet, dass Patienten außerhalb der Sprechzeiten die ärztliche Hilfe bekommen, die sie benötigen. Diese ständige Erreichbarkeit ist Teil einer leistungsfähigen ambulanten Versorgung und soll noch stärker im Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit verankert werden. Helfen Sie mit, um dem Trend entgegenzusteuern, dass Patienten mit harmlosen Krankheitssymptomen die Notaufnahme aufsuchen. Bitte unterstützen Sie die neue Kampagne.

Medizinische Hilfe in der Nacht, am Wochenende und an Feiertagen

Früher war der ärztliche Bereitschaftsdienst unter mehr als 1.000 regionalen Nummern erreichbar. Das hat sich geändert, seitdem die Kassenärztliche Bundesvereinigung gemeinsam mit den Kassenärztlichen Vereinigungen im Jahr 2012 die bundesweit einheitliche Rufnummer 116117 eingeführt hat. Jetzt steht sie vor einem Umbau zur vielleicht wichtigsten Servicenummer Deutschlands.

                                                                                – Nach Informationen der KBV –