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Ein langer Weg zu leistungsgerechterer ärztlicher Vergütung

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Kollege Windau hat einige Licht- und Schattenseiten des TSVG im Editorial dargestellt. Ich schließe mich diesen Ausführungen an, wobei die Redensart „Wo Licht ist, ist auch Schatten“ bzw. umgekehrt trotz ihrer Phrasenhaftigkeit das TSVG meines Erachtens gut kennzeichnet. Dies gilt natürlich insbesondere für die Vorschriften zur außerbudgetären Vergütung.

Außer- bzw. extrabudgetäre Vergütung – ein Wohlklang für die Ohren der niedergelassenen Kollegen wie kaum ein anderer Terminus. Natürlich resultiert das Klangvolle des Begriffs daraus, dass er für eine leistungsgerechtere ärztliche Vergütung spricht. Die positive Wahrnehmung dieser Vergütungsform geht aber weit darüber hinaus, denn sie ist die Kehrseite von Beschränkungen wie RLV und QZV, von Restleistungspunktwerten, von Quotierungen etc. Nicht zuletzt steht die Budgetierung für ein Ärgernis sondersgleichen: der legislativ verordneten Zwangsverantwortlichkeit der vertragsärztlichen Kolleginnen und Kollegen für die Regulierung der ständig steigenden Nachfrage an ärztlichen Leistungen und deren Kosten – der Arzt als Controller des Gesundheitswesens. Eine Abkehr vom Budget wäre also mehr als zu begrüßen.

Doch können wir dieser vergütungsmäßigen Morgendämmerung trauen? Sind nun die Weichen in Richtung genereller Entbudgetierung gestellt? Zwei Aspekte dämpfen meinen Optimismus:

Zum einen geht der Begriff „extrabudgetär“ mit dem Begriff „Bereinigung“ einher, ohne dass die Folgen der Verknüpfung dieser Begriffe zum heutigen Zeitpunkt hinreichend sicher verifizierbar sind. Immerhin ist ein Nullsummenspiel im Sinne „linke Tasche, rechte Tasche“ nicht zu erwarten, da die extrabudgetäre Vergütung von Neupatienten, von Terminvermittlungsfällen, von nach Vermittlung durch den Hausarzt erbrachten fachärztlichen Leistungen und von in offener Sprechstunde erbrachten Leistungen mit Sicherheit zu einem Zufluss zusätzlicher Mittel in vermutlich zweistelliger Millionenhöhe für Sachsen führen wird. Eine Bereinigung der RLV der einzelnen Praxis ist aber unvermeidbar, sodass der arztindividuelle Mehrgewinn, in Abhängigkeit von der individuellen Quote, aber insgesamt überschaubar bleibt, nicht zuletzt, weil die zusätzliche Vergütung nur einen Anteil von Leistungen besser stellen wird. Dass diese Bereinigungen mit einem erheblichen Verwaltungsaufwand einhergehen und die Honorarwirkungen für die Kolleginnen und Kollegen schwer kalkulierbar sind, soll nicht unerwähnt bleiben. Trotz allem könnte das eine Motivation sein, in seiner Praxis in angemessener Weise nach Leistungsreserven, falls diese vorhanden sein sollten, zu suchen. Ein unbesonnener Umgang mit den neuen Instrumenten führt diese Verfahrensweisen aber zeitnah wegen der „Bereinigung“ ad absurdum.

Meine Skepsis resultiert aber auch aus folgender Überlegung: Die Budgetierung von Leistungsausgaben, d. h. die Begrenzung der Gesamtvergütung, ereilte die Ärzte in Deutschland mit dem Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz – KVKG – im Jahre 1977. Der Gesetzgeber sah sich hierzu durch eine rasante Kostenentwicklung der Gesundheitsausgaben im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt veranlasst. Dieser Anteil war allein von 1970 bis 1975 von 5,6 Prozent auf 8,1 Prozent gestiegen, d. h. auf 61 Milliarden DM. Es setzte sich damals die Ansicht durch, dass das Gesundheitswesen ein Wirtschaftszweig mit einer angebotsinduzierten Wachstumsdynamik sei, in dem die Mengensteuerung einen entscheidenden Stellenwert hat. Der damalige Arbeitsminister Ehrenberg äußerte sich wie folgt:

„Letztlich hatten alle diese vielfältigen Fehlentwicklungen ihre Ursache darin, dass die Anbieter von Gesundheitsleistungen ein ökonomisches Interesse an einer wirtschaftlichen Leistungserstellung nicht zu haben brauchten. Denn sie allein bestimmten über den Umfang der Leistungen und weitgehend auch über den Preis.“

Laut Statistischem Bundesamt betrugen im Jahre 2017 die Gesundheitsausgaben 376 Milliarden Euro. Das entspricht einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt von 11,5 Prozent. Ähnlich wie Anfang der 1970er Jahre befinden wir uns noch in einer Konjunkturphase mit einer im Vergleich zu den 1990iger Jahren sehr geringen Arbeitslosenquote. Ändern sich diese derzeit noch günstigen volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen, dann ist zu befürchten, dass die Politik den langjährig forcierten Kostendämpfungsmechanismus, also der Arzt als zwangsweiser Kostendämpfer, wieder aufleben lassen bzw. intensivieren wird.

Im Endeffekt bedeutet dies aus meiner Sicht Folgendes: Erst dann, wenn die Politik vom Dogma des Arztes als Kostentreiber grundsätzlich Abstand nimmt oder zumindest die Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen maßgeblich auch vom „nachfrageinduzierten Kostenwachstumsfaktor“ Patient abhängig macht, kann die Entbudgetierung Raum greifen und sich dauerhaft durchsetzen.
„Gesetzlich Versicherte sollen schneller Arzttermine bekommen. Das ist Ziel des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG). Damit werden die Aufgaben der Terminservicestellen deutlich erweitert und niedergelassene Ärzte verpflichtet, mehr Sprechstunden anzubieten. […]“

Diese der Internetpräsenz des Bundesgesundheitsministeriums entnommene Aussage ist bezeichnend: Allein der Patient steht beim TSVG im Mittelpunkt der politischen Aktivitäten. Allein dessen noch niedrigschwelligerer Versorgung sind die außerbudgetären Vergütungsanteile geschuldet. Letztlich macht dies taktisch ja auch Sinn: die Gruppe der wählenden Patienten ist um ein Vielfaches größer als die der wählenden Ärzte …

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht alles wird durch die im TSVG verankerten extrabudgetären Vergütungsanteile gut, aber immerhin wird es honorarmäßig etwas besser. Nachhaltigkeit unter Eigenbeteiligung der Patienten sollten wir dennoch einfordern.

In diesem Sinne seien Sie herzlich gegrüßt

 
Ihr Klaus Hamm