Glücksritter reloaded
auch wenn die hohe Zeit der selbsternannten Heilsbringer aus den verschiedenen Branchen, wie Immobilienspekulanten oder Versicherungsvertreter, die unser Bundesland Sachsen in den Jahren nach der Wende heimgesucht haben, lange vorbei schien, so werden wir nun doch eines Besseren belehrt. Und es wird, um dies vorweg zu nehmen, wohl eher nicht ein einigermaßen versöhnliches Ende, wie zumindest in einigen Fällen der Immobiliengeschäfte von Jürgen Schneider in Leipzig, nehmen.
Nun sind wir von Seiten der Bundespolitik in den letzten bald 30 Jahren einiges gewöhnt, was die Umstrukturierungsversuche des Gesundheitswesens angeht. Da konnte es in den ersten Jahren gar nicht schnell genug gehen, die bestehenden Polikliniken abzuwickeln und allesamt durch Einzelpraxen zu ersetzen, was von einem Großteil unserer Ärztinnen und Ärzte auch dankbar angenommen wurde, aber eben nicht von allen. Viele der älteren Kollegen hätten gerne im Angestelltenverhältnis unter dem Dach eines Ärztehauses bis zur Pensionierung weitergearbeitet. Dies wurde ihnen verwehrt.
Nach einigen Jahren fiel auf, dass eine Konzentration verschiedener Fachrichtungen unter einem Dach doch gar nicht so schlecht wäre – sei es aus Gründen einer besseren Kooperation oder der Effizienz bei der Geräteauslastung. Man nannte dies Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ). Eine passable Idee, wenn nun eben auch nicht gerade neu.
Ein paar Jahre funktionierte dies auch recht gut – auf der einen Seite die überwiegende Mehrzahl der Kolleginnen und Kolleginnen in der eigenen Niederlassung, auf der anderen Seite diejenigen, die lieber in einer Anstellung in einem größeren Haus arbeiten wollten.
Nach dem Regierungswechsel Ende der Neunzigerjahre und dem Machtantritt der SPD setzte eine immer größer werdende Missgunst gegenüber den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten in der Bundesrepublik ein. Die Anzahl der Gängelungen und Restriktionen, die ich an dieser Stelle gar nicht mehr im Einzelnen aufzählen möchte, da sich die meisten noch gut an sie erinnern beziehungsweise sie uns heute noch betreffen, wuchs ins Unermessliche. Alles wurde versucht, um das Vertrauensverhältnis zwischen Ärzten und Patienten zu unterminieren, was bis heute aber glücklicherweise nicht gelungen ist. Die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt setzte ihre gesamte Energie ein, das funktionierende Gesundheitssystem der Bundesrepublik Deutschland durch ein mehr oder minder staatlich gelenktes Konstrukt zu ersetzen. Mithilfe der Bertelsmann-Gruppe, die allein zwei Millionen Euro nur in eine Machbarkeitsstudie steckte, und der US-amerikanischen Beratungsfirma Kaiser Permanente sollte ein Komplettumbau erfolgen. Leider – für Frau Schmidt und ihre Mitstreiter – kamen die Pläne doch ans Licht und man beeilte sich, dies zu dementieren, da man sich der Wucht des Widerstandes doch bewusst wurde.
Was aber blieb, waren die eben nicht nur von Medizinern geführten MVZ. Von den Ärztinnen und Ärzten und den mit dem Versorgungsauftrag betrauten Kassenärztlichen Vereinigungen wurden viele dieser Zentren, besonders die von medizinischen Großunternehmungen geführten, zunehmend als ein Problem angesehen. Es wurden vielfach Praxen von in den Ruhestand gehenden Kolleginnen und Kollegen aufgekauft, ohne dass ein Nachfolger zur Verfügung stand. Um nun die Zulassung nicht zu verlieren, wurden die Ausgeschiedenen gebeten, für wenige Stunden in der Woche noch in ihrer alten Praxis zu arbeiten. Dies war vielleicht durchaus eine recht angenehme Situation auch für diese Kolleginnen und Kollegen, in erster Linie diente es aber den Klinikkonzernen, die Kassenarztsitze zu behalten, um bei einer sich vielleicht doch verändernden Gesamtsituation sofort am Ball zu sein.
Gar kein Gewinn war es jedoch für die Patientinnen und Patienten. Wurden früher in diesen Praxen, zum Beispiel in der Augenheilkunde, 1.600 bis 1.800 Patienten im Quartal betreut, waren es nunmehr nur noch 400. Rein rechtlich fehlte jedoch die Handhabe, dagegen vorzugehen – und es gab auch keine Chance, eine solche zu schaffen, da ja derartige MVZ von der Politik gewünscht waren.
Immer mehr Ärzte, vor allem aber auch Kapitalgesellschaften, gründeten nun in den letzten Jahren Medizinische Versorgungszentren. Durch die auf diesem Wege stetig anwachsende Kapitaldecke solcher Unternehmen tritt eine immer stärkere Konzentration auf. Für einzelne Kolleginnen und Kollegen ist es häufig kaum noch möglich, einen Kassenarztsitz zu übernehmen, da die MVZ und sonstigen Ketten in der Lage sind, ungleich höhere Ablösesummen zu zahlen („… egal was ihnen jemand bietet, wir zahlen Ihnen mehr“).
Die Renditeerwartungen rücken natürlich immer mehr in den Mittelpunkt. Dafür ist die MVZ-Genossenschaft „DerArzt eG“ ein eklatantes Beispiel. Man versucht, durch Druckausübung auf potentielle Mitglieder in den lukrativen Markt einzudringen und die Versorgung zu steuern. Dafür ist jedes noch so teure Angebot recht. In Chemnitz wurde im Bereich der Augenheilkunde ein so genanntes Makula-Kompetenzzentrum ausgelobt, wofür ein Leitender Arzt gesucht wird. Das finanzielle Angebot ist im Editorial bereits erwähnt. Ergänzend ist noch die 100-prozentige Kostenerstattung bei Kongressaufenthalten zu erwähnen.
Als Gegenleistung werden u. a. 140 intravitreale Injektionen an zwei OP-Tagen in der Woche erwartet. Wie allerdings, medizinisch und ethisch vertretbar, 70 IVOM an einem Tag zu bewerkstelligen sind, geht aus der veröffentlichten Anzeige nicht hervor. Übrigens: Im MVZ Chemnitz werden derzeit augenärztliche Patienten abgewiesen, diesen aber die Behandlung als Privatzahler angeboten.
Wollte man wirklich etwas für die Behandlung der sächsischen Patientinnen und Patienten tun, so sollte man wissen, dass es im augenärztlichen Bereich fast ausschließlich an konservativen Praxen fehlt. Damit aber ließe sich natürlich nicht die erhoffte und den Kapitalgebern versprochene Rendite erzielen.
Einer seriösen Prüfung durch die vielleicht über eine eventuelle Bindung an die Ärztegenossenschaft „MVZ DerArzt eG“ nachdenkenden Ärztinnen und Ärzte dürften die getätigten Angebote nicht standhalten.
Zumindest ist es höchste Zeit, dass die Politik als Gesetzgeber endlich eingreift. Es wäre schön, wenn man sich in Berlin nicht immer auf nebensächlichen Themenfeldern tummeln würde, sondern das angekündigte Ministermachtwort an wirklich entscheidenden Stellen einsetzen würde, wie bei der Widerspruchslösung für die Organspende oder eben der Abwehr von Kapitalgesellschaften in der vertragsärztlichen Versorgung.
Wir verfügen derzeit noch über eines der besten Gesundheitssysteme mit dem weltweit besten Zugang für alle Bürger des Landes zu allen medizinischen Leistungen. Ob dies mit ausgedehnten MVZ à la „DerArzt eG“ so bleibt, erscheint eher unwahrscheinlich.
Ihr Frank Rohrwacher