Warnung vor "DemArzt" oder "Zu schön, um wahr zu sein"
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
in der Weihnachtszeit wird ja so mancherorts gewichtelt und der eine oder andere erhält per Post, Fax oder Mail Nachricht von Gewinnen oder die Aussicht darauf und kann sich dann dazu positionieren oder alles als unerwünschte Werbung entsorgen bzw. löschen.
Kurz nach Jahresbeginn flatterte auch mir eine unbestellte Hochglanzmappe ins Haus – und im ersten Moment stellte sich bei mir das Gefühl ein, endlich auch einmal zu den Bevorteilten dieser Welt zu gehören und ein „Rundum-Sorglos-Paket“ gewonnen zu haben. Die „MVZ DerArzt Sachsen eG“ aus Chemnitz informierte mich, dass ich ausgewählt sei, um nach langjähriger erfolgreicher Praxistätigkeit meine Nachfolge intelligent zu regeln, indem ich einen Vertrag über ein Verkaufsrecht meiner Praxis an das MVZ unterzeichne. Bis dahin war mir noch gar nicht recht bewusst gewesen, dass es bei mir schon so weit sei, und auch meine Partnerin in der Gemeinschaftspraxis wäre ja nun noch von meinem Glück zu unterrichten, dass – weil „intelligent“ – ich mich um einen passenden Partner für die Gemeinschaft nicht mehr bemühen müsste.
In einem beiliegenden Referenzschreiben eines Praxisverkäufers vom August 2018 wurde von den Freuden berichtet, die das Verkaufsprozedere an das MVZ ausgelöst hatten. Zusätzlich motivierend für einen schnellen Vertragsabschluss war die Nachricht beigefügt, dass nach Recherchen des MVZ 19 von 20 frei werdenden Praxen ohne Nachfolger schließen müssen, weil den jungen Kollegen der Niederlassungswille abhanden gekommen sei. Man konnte das aber durchaus auch als Drohung vor dem bevorstehenden Untergang verstanden wissen. Denn erschwerend für mein erreichtes Lebensalter war in den Vertragsunterlagen erwähnt worden, dass das MVZ nur 100 vom Untergang bedrohten Praxen retten könne – „es gilt das Windhundprinzip“. Mit anderen Worten: Man sollte sofort losrennen, um den anderen, vielleicht jüngeren oder schnelleren Bewerbern, zuvorzukommen und ein Schnippchen zu schlagen. Aber wie viele Windhunde waren denn schon auf die Strecke gegangen? Würde mein Herz so ein Rennen denn noch aushalten? Fragen über Fragen – und keiner weiß Bescheid!
Ach ja, 50.000 Euro sollte ich auch noch einzahlen, um dem Antrag auf Mitgliedschaft in der Ärztegenossenschaft glaubhaft Nachdruck zu verleihen. Immerhin locken dann vier Prozent Zinsen per anno, was ja im Zeitalter von Negativzinsen voll gegen den Trend geht. Aber Ärzte seien doch verlässliche Teilnehmer in der Wertschöpfungskette und die erwirtschafteten Überschüsse eher deutlich darüberliegend. Lediglich das Stimmrecht in der Genossenschaft würde erlöschen, wenn man zu den investierenden Mitgliedern gehören möchte, aber was soll’s, wir verstehen doch eh nichts von BWL, oder?
Jetzt muss ich aber los, um mit meiner mit „A“ aufgehübschten Überweisung beim Kardiologen die Ergometrie abzuspulen, damit ich mich vergewissere, dass ich nicht versehentlich beim anschließenden Windhundrennen einen Schaden erleide, der mich daran hindern würde, die zu erwartenden satten Gewinne auch abschöpfen zu können.
Hoffentlich verfehle ich nun nicht die „Obergrenze“ und darf auf der Welle von 100 glücklichen Auserwählten mitsurfen. Drücken Sie mir die Daumen!
Ihr Johannes-Georg Schulz
MVZ-Genossenschaften: "Wachsam bleiben und Verantwortung übernehmen"
Die „MVZ DerArzt eG“ mit Sitz in Köln will in großem Stil Hausarztpraxen aufkaufen. Der Bayerische Hausärzteverband nahm dazu folgendermaßen Stellung.
Wie die Ärzte Zeitung in ihrer Ausgabe vom 3. September 2018 berichtete, plant die MVZ-Genossenschaft bis zum Jahr 2023, rund 1.000 Praxen mit 2.000 angestellten Ärzten unter ihrem Dach zu vereinen – bundesweit. „Wir haben uns für die Gründung einer Genossenschaft entschieden, da wir die Freiheit des Arztberufes sicherstellen und verhindern, dass sich ‚das Kapital‘ der ambulanten Gesundheitsversorgung bemächtigt und irgendwann an der Börse verkauft“, heißt es auf der Website der MVZ DerArzt eG.
Dass diese Aussage mit Vorsicht zu genießen ist, zeigt sich bei einem Blick auf die Organisationsstruktur der Genossenschaft. Gründer und Aufsichtsratsvorsitzender der MVZ DerArzt eG ist Banker Michael G. Kosel, dem „alle Geschäftsprozesse unterliegen“. Auch der Vorsitz der MVZ DerArzt Verwaltungsgenossenschaft obliegt Geschäftsleuten: Alexander Maubach und Oliver Krenzer, verantwortlich für den „Praxis-Einkauf und die Akquisition neuer Nachfolge-Praxen“.
Die MVZ DerArzt eG schreibt sich auf die Fahnen, die Gesundheitsversorgung vor dem Verkauf an der Börse zu schützen. Dass sowohl Michael Kose als auch Oliver Krenzer auch im Vorstand der „evbd Aktiengesellschaft“ sind, hinterlässt einen bitteren Beigeschmack. Bei der Präsentation ihres Modells etablieren sie sich als neue Hoffnungsträger der hausärztlichen Versorgung: „Der Deutsche Hausarzt Bundesverband hat im Mai 2017 erklärt, dass das Pilotprojekt, welches zwei Jahre zuvor begonnen wurde und die Gründung einer bundesweiten Hausarzt-MVZ-Kette zum Ziel gehabt hat, erfolglos beendet wurde. Das war die letzte Hoffnung der Hausärzte in Deutschland, welche sich mit dem Gedanken tragen, ihre Praxis in den kommenden Jahren zu schließen“, heißt es weiter.
Dr. Dieter Geis, Vorstandsvorsitzender des Bayerischen Hausärzteverbandes: „Die MVZ DerArzt eG platziert sich als Retter in der Not, dabei wird hier ein profitorientiertes Geschäftsmodell etabliert, das den Hausarztberuf industrialisiert. Wir unterstützen den Zusammenschluss von Ärzten, die mit einem MVZ die hausärztliche Versorgung in Eigenregie verwalten. Doch davon kann hier keine Rede sein.“
1.000 Praxen mit 2.000 angestellten Ärzten sind kein kleines Unterfangen. Im Interview mit der Ärzte Zeitung erklärt Krenzer, warum das ein realistischer Ansatz sei: Man müsse nur auf die Zahl der Ärzte schauen, die in den nächsten Jahren aus Altersgründen aus der Versorgung ausscheiden. Den Investoren garantiere die Genossenschaft dabei vier Prozent Gewinnanteil; angesichts der hohen Umsatzrenditen von Arztpraxen sei das ein realistischer Wert.
Die „hohen Umsatzrenditen“ dürften dann auch der Grund für die groß angesetzten Pläne der MVZ DerArzt eG sein. Die Zulassungsgenossenschaft der MVZ DerArzt eG hat im Juni von der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen die Zulassung zum Betrieb von Arztpraxen erhalten. In Chemnitz hat die Genossenschaft bereits das von einem Krankenhausträger betriebene MVZ Diakomed mit vier KV-Sitzen an zwei Standorten übernommen. Im Frühjahr 2019 soll Westfalen-Lippe folgen, dann stehen Bayern, Hessen und Niedersachsen auf dem Programm.
Sollte sich diese Form der medizinischen Versorgung etablieren, steht nicht nur der freie Hausarztberuf auf dem Spiel, auch die Steuerungsfunktion der Kassenärztlichen Vereinigungen wird dadurch ausgehebelt, denn ein Arztsitz, der an ein MVZ gegen Anstellung verkauft wird, muss nicht mehr offiziell ausgeschrieben werden. „Hier müssen wir wachsam bleiben. Es darf nicht sein, dass fremdfinanzierte Konzernstrukturen die hausärztliche Versorgung steuern“, warnt Dr. Geis. „Junge Ärzte wollen erst einmal in Anstellung arbeiten – das ist völlig legitim. Doch neben dem Wunsch der Work-Life-Balance müssen die Kolleginnen und Kollegen auch den Mut haben, Verantwortung zu übernehmen, ansonsten werden wir von Kapitalgesellschaften überrollt. Der Beruf des Hausarztes lebt von der engen Patientenbindung. Wir behandeln und begleiten Menschen von Jung bis Alt, kennen die Familie und die Krankengeschichte. Eine anonyme Versorgung, die von Kapitalgesellschaften gelenkt ist, können weder Ärzte noch Patienten wollen.“
– Information des Bayerischen Hausärzteverbandes e. V. –