Sich zu engagieren ist die beste Möglichkeit, etwas mitzugestalten
Am 4. Juli 2018 wurde am Städtischen Klinikum Görlitz im Zuge der Bereitschaftsdienstreform in Sachsen eine Bereitschaftspraxis eröffnet. Zum Start und Werdegang der Pilotpraxis sprachen wir mit dem Ärztlichen Leiter, Dr. med. Leonhard Großmann, sowie dem Medizinischen Direktor des Städtischen Klinikums Görlitz, Dr. med. Eric Hempel.
Dr. med. Leonhard Großmann schloss 2008 sein Staatsexamen ab und ist seit 2014 Facharzt für Allgemeinmedizin. Vor vier Jahren ließ sich der heute 36-Jährige in Görlitz nieder. Nach Beendigung des Studiums absolvierte er seine Assistenzzeit am Städtischen Klinikum, so dass ihm die Gegebenheiten vor Ort bestens bekannt sind.
Herr Dr. Großmann, Ihnen wurde die ärztliche Leitung der Bereitschaftspraxis in Görlitz übertragen. Wie kam es dazu?
Man wird dazu vom Vorstand der KV Sachsen berufen bzw. bestellt. Ich habe Interesse gezeigt, denn ich finde, sich zu engagieren ist die beste Möglichkeit, etwas mitzugestalten, vor allem, wenn man die lokalen Gegebenheiten kennt. Unter anderem konnte ich Erfahrungen mit der Dienstplangestaltung für einen dezentralen Praxisdienst hier in Görlitz einbringen. Im Vorfeld der Reform habe ich viele Diskussionen miterlebt, dabei zum Teil auch konstruktiv kritische. Doch wir stehen vor großen Herausforderungen, was die Demografie angeht, und müssen Lösungen finden. Da kann jeder Einzelne etwas tun.
Wie haben Sie die Startphase erlebt?
Das Prinzip einer Bereitschaftspraxis ist für die Patienten in Görlitz und Umgebung nicht neu. Die diensthabenden hausärztlich tätigen Kollegen hielten ihre Dienste zuvor in ihren eigenen Praxen ab. Für Patienten ist es mit der zentralen Anlaufstelle aber viel einfacher den Bereitschaftsdienst zu finden – ganz gleich, wer dort gerade Dienst tut.
Als sehr angenehm empfinde ich die Zusammenarbeit mit den Klinikärzten. Zwar gibt es in der Görlitzer Bereitschaftspraxis leider keinen gemeinsamen Tresen mit der Krankenhaus-Notaufnahme, aber mittels der Triage-Erfassungsbögen lässt sich sehr schnell eine Risikoeinschätzung vornehmen – und problematische Diagnosen können sozusagen auf dem kurzen Dienstweg mit Unterstützung der Krankenhauskollegen geklärt werden. Das ist ein echter Zugewinn auch für die Patienten. Zudem fördert diese Zusammenarbeit das Verständnis der diensthabenden Ärzte untereinander – das der Klinikärzte für die Niedergelassenen sowie umgekehrt – auch über den Bereitschaftsdienst hinaus, zum Beispiel wenn es darum geht, für einen Patienten mit kompliziertem Krankheitsbild fachliche Unterstützung einzuholen.
Worin sehen Sie die größten Herausforderungen bei der Umsetzung der Bereitschaftsdienstreform?
Wir sollten die Reform als Prozess begreifen, der sehr komplex ist und diesen mit Leben füllen. Ehrlicherweise müssen wir aber auch über die Anlaufschwierigkeiten sprechen. Das betrifft zum Beispiel die Telekommunikationseinrichtungen, auch beim Fahrdienst. Da die Einsatzziele direkt auf das Navigationssystem gesendet werden, wird es problematisch, wenn die Technik nicht funktioniert. Die Leitstelle in Leipzig war in der Startphase zeitweise nicht oder nur schwer zu erreichen, aber das wurde rasch behoben. Auch die Zusammenarbeit mit dem Klinikum muss weiterwachsen, das braucht Zeit.
Was sollte aus Ihrer Sicht verbessert werden?
Die Kommunikation untereinander ist überaus wichtig. Manchmal scheint es, dass Informationen nur schwierig an den Mann oder die Frau zu bringen sind. Daraus können Unsicherheiten und Frustration erwachsen. Das müssen wir verhindern und alle Kommunikationswege ausschöpfen. Ich fand die Veranstaltungen „KV vor Ort“ sehr gut. Denn es zeigt sich immer wieder, dass Kolleginnen und Kollegen ganz unterschiedliche Voraussetzungen, auch fachlich, mitbringen. Hier sind die Workshops zum Bereitschaftsdienst sehr nützlich.
Gut wäre aus meiner Sicht zudem ein Leitfaden, der jedem Bereitschaftsarzt an die Hand gegeben werden kann. Denn die Patienten sollen ja nicht so umfassend wie möglich, sondern medizinisch so versorgt werden, dass sie zur nächstmöglichen Sprechstunde wieder ihren Hausarzt, der sie lange kennt, aufsuchen können. Hier dürfen wir durch die Bereitschaftspraxen nicht noch eine zusätzliche Nachfrage bei den Patienten schaffen.
Für einen reibungslosen Bereitschaftsdienst sind funktionierende Steuerungselemente unabdingbar, wie die Vermittlungszentrale in Leipzig. Auch hier sehe ich, z. B. durch Einführung einer ärztlichen telefonischen Beratung, Optimierungspotenzial.
– Öffentlichkeitsarbeit/pfl–
Die gute Zusammenarbeit gibt Sicherheit
Die Pilotpraxis am Städtischen Klinikum in Görlitz gehört zur Modellregion Görlitz/Niesky. Mit dem Medizinischen Direktor des Städtischen Klinikums Görlitz, Dr. med. Eric Hempel, sprachen wir über das Zusammenspiel zwischen Klinik und Bereitschaftspraxis.
Dr. med. Eric Hempel studierte Medizin, Gesundheitsökonomie und Kommunikationspsychologie. Er absolvierte Facharzt- und Zusatzweiterbildungen für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Schmerz- und Palliativmedizin und arbeitete an privaten und kommunalen Kliniken. In Görlitz ist er seit 2006 tätig, erst als Chefarzt, später als Medizinischer Direktor.
Wann haben Sie zum ersten Mal von den Plänen einer Bereitschaftspraxis der KV Sachsen erfahren?
In Schwerin wurde ein ähnliches Modell schon vor fast 20 Jahren eingeführt; da habe ich es kennengelernt. Als ich 2006 in Görlitz diese Idee einbrachte, gab es einige an einer solchen Kooperationsform sehr interessierte niedergelassene Kollegen – aber die KV Sachsen hielt sich noch zurück. Auch ein neuerlicher Anlauf von uns vor fünf Jahren war noch nicht umsetzbar. Als unser Krankenhaus dann im Zuge der Bereitschaftsdienstreform von der KV angesprochen wurde, konnte ich nur sagen: Endlich! Ich hätte gern gesehen, dass wir die Rolle des Pilotprojektes, das 2017 in Niesky gestartet wurde, übernehmen. Aber es war vermutlich unkomplizierter, dieses an einem kleineren Haus zu beginnen.
Worin besteht die Besonderheit der Portalpraxis in Görlitz?
Ich weiß, dass die KV Sachsen einen sogenannten gemeinsamen Tresen präferiert. Ich hätte auch nicht erwartet, dass bei uns in Görlitz die Zusammenarbeit zwischen Bereitschaftspraxis und Notaufnahme trotz getrennter Patientenannahmen so gut funktioniert. Die Nachteile hatte ich anfangs höher eingeschätzt. Doch mittlerweile finde ich es richtig gut. Wir ändern gerade die Wegeführung für die Notfallpatienten. Diejenigen, die zu Fuß ins Klinikum kommen, steuern geradewegs auf die Bereitschaftspraxis zu. Sie kommen an drei großen Hinweisschildern vorbei, bevor sie zur Notaufnahme gelangen. Wir halten dies für eine elegante Lösung, um auf die Patienten einzuwirken, nur bei echten Notfällen die Notaufnahme aufzusuchen.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit des Personals aus Ihrer Sicht?
Die Zusammenarbeit des Personals funktioniert reibungslos. Eine der Schwestern, die jetzt in der Bereitschaftspraxis arbeiten, bringt jahrelange Erfahrungen aus dem Klinikum mit. Und viele niedergelassene Ärzte, die vor Jahren ihren praktischen Dienst im Klinikum Görlitz absolviert haben, treffen beim Bereitschaftsdienst voller Wiedersehensfreude auf ihre Kollegen von damals. Es ist kaum zu glauben, aber es macht einen familiären Eindruck – im allerbesten Sinne. Ich wirke auch auf die Ärzte in der Notaufnahme ein, auf die Bereitschaftsärzte zuzugehen. Wenn ich an Wochenenden und Feiertagen dienstlich im Haus bin, schaue ich genauso wie die diensthabenden Oberärzte der Kliniken sehr gern nach den Kolleginnen und Kollegen in der Bereitschaftspraxis, damit wir uns kennenlernen. Diese sehr gute Zusammenarbeit gibt Sicherheit – den Ärzten, aber auch den Patienten, wenn sie das Prinzip verstanden haben.
Bringt die Bereitschaftspraxis die – sicherlich erhoffte – Entlastung für die Notaufnahme?
Leider ist eine Entlastung noch nicht spürbar. Vielleicht sagen die Zahlen etwas anderes, das muss man sich genauer anschauen. Aber viele unserer Patienten sind noch sehr im alten Muster verhaftet und bestehen auf der Behandlung in der Notaufnahme. Lieber warten sie hier stundenlang – da wir die echten Notfälle gemäß unserem Stufenplan schneller behandeln – anstatt ein paar Meter weiter die Bereitschaftspraxis aufzusuchen. Wir können zwar Patienten, die wir nicht als „Notfall“ einstufen, empfehlen, zum Bereitschaftsdienst zu gehen. Aber wegschicken dürfen wir die Patienten nicht.
Welchen Herausforderungen mussten Sie sich bzw. das Klinikum stellen, um die Bereitschaftspraxis einzurichten?
Die Idee, an unserem Klinikum eine Portalpraxis einzurichten, traf uns mitten in einer sehr umfangreichen Bauphase. Viele Räume sind derzeit zum Teil doppelt und dreifach belegt, der jeweilige Praxisablauf sehr streng getaktet. Doch wenn die Bauarbeiten abgeschlossen sind, haben wir eine ganz neue Struktur, die es möglicherweise zulässt, auch noch eine Kinderärztliche Bereitschaftspraxis einzurichten. Zum Pilotprojekt kann ich sagen, man sollte nicht so viel zweifeln. Der Versuch ist es wert, auch wenn nicht überall die gleichen Voraussetzungen herrschen. Ich bin überzeugt, es kommt letztlich uns allen zugute: der Gesellschaft, den Ärzten, der Klinik, den Patienten – und greift ineinander über.
– Öffentlichkeitsarbeit/pfl–