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Einigkeit der Ärzte-Vertreter: Versorgung verbessern - aber nicht auf Kosten der Ärzteschaft

Die Sonder-Vertreterversammlung am 12. September 2018 war einberufen worden, um der Ärzteschaft die Möglichkeit zu geben, sich zum Entwurf des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) des Bundesgesundheitsministeriums zu positionieren. Mit großer Einigkeit verabschiedeten die Vertreter dazu eine Resolution, um auf die geplanten Mehrbelastungen für Ärzte und Psychotherapeuten aufmerksam zu machen und eine Änderung zu bewirken, bevor das Gesetz beschlossen wird.

Als Gäste begrüßte der Vorsitzende der Vertreterversammlung, Dr. Stefan Windau den Hauptgeschäftsführer der Sächsischen Landesärztekammer, Dr. Michael Schulte Westenberg, die Vorsitzenden der Beratenden Fachausschüsse Dr. Thomas Lipp für die Hausärzte, Dr. Alexander Ziegert für die Fachärzte, Dr. med. Nilüfer Gündog für die angestellten Ärzte und Dr. med. Reinhard Martens für die Psychotherapie. Mit 38 stimmberechtigten Teilnehmern wurde die Beschlussfähigkeit festgestellt.

Dr. Windau stellte den Entwurf des Terminservice- und Versorgungsgesetzes vor und bewertete ihn insgesamt kritisch.

Wesentliche Inhalte des Terminservice- und Versorgungsgesetzes

Das TSVG, so will es der Gesetzgeber, soll für schnellere Termine sorgen und eine bessere Versorgung gewährleisten. Es enthält Forderungen, die die Interessen der Patienten in den Vordergrund stellen. Die erheblichen Mehrbelastungen für die Ärzteschaft werden dagegen nicht ausreichend in die Finanzierungsvorschläge einbezogen.

Terminservicestellen: Sie sollen ausgebaut werden und unter der bundesweit einheitlichen Notdienstnummer 116 117 rund um die Uhr erreichbar sein, also 24 Stunden täglich an sieben Wochentagen. Des Weiteren werden auch Haus- und Kinderärzte in die Terminvermittlung einbezogen. Damit Termine nicht nur telefonisch vergeben werden können, sollen Online-Angebote eingerichtet werden.

Mindestsprechstundenzahl: Sie soll auf mindestens 25 Stunden pro Woche steigen, Hausbesuche dürfen eingerechnet werden. Mindestens fünf Stunden pro Woche müssen dabei als offene Sprechstunden – also ohne vorherige Terminvereinbarung – angelegt sein.

Vergütung der Ärzte: Eine erhöhte Bewertung oder bessere Förderung greifen bei Leistungen, die in den offenen Sprechstunden erbracht werden, bei Akut- und Notfällen während der Sprechstunden sowie für „sprechende Medizin“ und bei Hausbesuchen. Es sind regionale Zuschläge für Ärzte auf dem Land geplant. Fachärztliche Leistungen, die durch die Terminservicestelle vermittelt werden, sollen extrabud-getär vergütet werden. Hausärzte sollen, wenn sie einen Termin beim Facharzt vermitteln, für diese Vermittlung eine (geringe) extrabudgetäre Vergütung bekommen. Aber die sich durch die Vermittlung des Hausarztes ergebende fachärztliche Leistung soll unverändert vergütet werden!

Kritische Einschätzung

Dr. Windau wies auf die Gefahr hin, dass sich dadurch, wenn der Referentenentwurf des Gesetzes hier nicht korrigiert wird, die Versorgungssituation gravierend ändern wird. Eine Aufblähung der Terminservicestelle und noch größere Schwierigkeiten für Hausärzte, ihre Patienten direkt beim Facharzt unterzubringen, wären die Folgen. Abgesehen von dem Aufwand wäre dies versorgungspolitischer Irrsinn, erklärte er.

Dr. Windau begrüßte zumindest den Ansatz zur Entbudgetierung, wies aber darauf hin, dass im Gesetz an anderer Stelle Regelungsansätze eingebaut sind, die durch Bereinigungsmöglichkeiten der Gesamtvergütung dem Effekt der extrabudgetären Vergütung entgegenlaufen, was zwingend verhindert werden muss.

Weitere Pflichten aus dem Gesetzentwurf

Pflichten der KVen: Für Ärzte auf dem Land gibt es regionale Zuschläge. Strukturfonds der KVen werden verpflichtend und auf bis zu 0,2 Prozent der Gesamtvergütung verdoppelt. Geplant ist, die Verwendungszwecke zu erweitern, zum Beispiel auch für Investitionskosten bei Praxisübernahmen. Außerdem werden die KV en verpflichtet, Eigenpraxen in unterversorgten oder von Unterversorgung bedrohten Gebieten zu eröffnen oder Versorgungsalternativen wie Patientenbusse, mobile Praxen oder digitale Sprechstunden anzubieten.

Pflichten der Kassen: Sie müssen ihren Versicherten spätestens ab 2021 eine elektronische Patientenakte zur Verfügung stellen. Dabei soll auch der mobile Zugriff über Smartphone usw. ermöglicht werden.

Eingriff in die Freiberuflichkeit

Dr. Windau sagte dazu: „Dieses Gesetz hat es in sich.“ Es enthalte viele Vorgaben, Zwänge und Verpflichtungen, deren Definition oder Durchführung noch gar nicht geregelt und in den Konsequenzen teils schwer abschätzbar seien. Wesentliche Änderungsmöglichkeiten in der Intention des Gesetzes sehe er nicht, aber die Möglichkeit und die Verpflichtung der Ärzte und Psychotherapeuten, den noch verbleibenden Gestaltungsspielraum durch Interventionen auf Bundes- und Landesebene so zu nutzen, dass dieses Gesetz dort, wo es sinnvolle Ansätze hat, überhaupt sinnvoll wirken kann. Dr. Windau fasste zusammen, dass neben einigen positiven Ansätzen auch dieses Gesetz die Freiheit der Ärzte und Psychotherapeuten sowie der Selbstverwaltung weiter einschränkt und dafür der Grad an staatlicher Reglementierung weiter zunimmt.

Resolution verabschiedet

Um dem Gesetzgeber den Änderungsbedarf aufzuzeigen, verabschiedete die Vertreterversammlung auf Initiative von Dr. Windau eine Resolution zum Terminservice- und Versorgungsgesetz. Die Ärzteschaft erkenne an, dass ein erheblicher Teil der von Ärzten und Psychotherapeuten geforderten individuellen Mehrleistungen durch zusätzliche Mittel vergütet werden soll – und halte dies für einen gangbaren Weg. Mit großer Sorge beobachte man jedoch, dass in den Referentenentwurf Regelungsmöglichkeiten aufgenommen wurden, die dem gewünschten Vergütungseffekt entgegenlaufen. Die Maßnahmen zur Förderung der „sprechenden Medizin“ würden als weitgehender Eingriff in die Selbstverwaltung angesehen und stellten langfristig die Selbstständigkeit der Ärzte in Frage. Die alleinige Beteiligung von Kapitalgesellschaften an ärztlicher Leistungserbringung werde kategorisch abgelehnt.

Die Sächsische Landesregierung und der Gesetzgeber werden nun aufgefordert, darauf hinzuwirken, dass der Referentenentwurf so verändert wird, dass es nicht zu den Verrechnungen und den sonst zu befürchtenden deletären Folgen kommen kann. Die Resolution finden Sie auf Seite 6.

Neuregelung in der Muster-Berufsordnung

Dr. Windau referierte kursorisch über die in diesem Jahr auf dem Deutschen Ärztetag beschlossene Änderung der Muster-Berufsordnung und die sich daraus ableitende entsprechende Änderung der Berufsordnung der Sächsischen Landesärztekammer bezüglich der Aufhebung des Fernbehandlungsverbotes. Er umriss Möglichkeiten und Risiken, die sich dadurch für die Vertragsärzte und -Psychotherapeuten ergeben und stellte klar, dass sich die Ärzteschaft positionieren muss.

Modellprojekt Fernbehandlung

Im zweiten Teil der Veranstaltung informierte der Vorstandsvorsitzende der KV Sachsen, Dr. Klaus Heckemann, zu den gesundheitspoliti-schen Entwicklungen im Bereich der Telemedizin. Als ein positives Beispiel nannte er das Projekt „Telemedizin im Pflegeheim“, das durch den Kollegen Dr. Thomas Lipp initiiert wurde. Für flächendeckende Anwendungen sei jedoch noch viel zu tun. Dr. Heckemann regte an, dass die KV Sachsen hier aktiv werden und die Möglichkeit der Lockerung des Fernbehandlungsverbotes nutzen solle, um selbstständig zu gestalten und nicht alles dem Gesetzgeber zu überlassen. „Hier können wir mit etwas Neuem vorangehen, um es nach unseren Vorstellungen zu gestalten“, sagte er.

Nach einer lebhaften Diskussion brachte er zwei Anträge ein: Zum Ersten bat er, die Vertreterversammlung möge beschließen, dass für die KV Sachsen ein Modell erarbeitet werden soll, um allen Versicherten der GKV ein sinnvolles Fernbehandlungsangebot zu unterbreiten. Dieses Modell soll angeboten werden mit dem Ziel, die zusätzlichen Leistungen künftig in die Regelversorgung zu integrieren. Die Offerten erfolgen qualitätsgesichert, da die KV dafür garantiert, dass ausschließlich Ärzte mit abgeschlossener, mindestens fünfjähriger Facharztweiterbildung und ausreichenden Sprachkenntnissen zum Einsatz kommen. Die Entscheidung, ob eine Fernbehandlung medizinisch vertretbar ist, bleibt in der Hand des ambulant tätigen Arztes. Auch steht die KV Sachsen als Körperschaft des öffentlichen Rechts für die Sicherheit der Sozialdaten der Patienten.

Zum Zweiten möge die Vertreterversammlung beschließen, das vorgestellte Modell für die Fernbehandlung im Bereich der KV Sachsen auf Basis der 24 / 7-Schaltung der „116 117“ umzusetzen. Dabei sollen die bereits zur Verfügung stehenden Ressourcen genutzt werden. Mit der bereits existierenden Termin-servicestelle der KV Sachsen wäre es möglich, die benötigte Infrastruktur schnell aufzubauen. Perspektivisch ist auch angedacht, das telefonische Angebot durch einen telemedizinischen (Video-)Kontakt zu ergänzen. Sollte sich während des Telefonates die Notwendigkeit eines persönlichen Arzt-Patienten-Kontaktes ergeben, ist auch dessen Organisation Teil des Modellprojek-tes. Die Leistung „Fernbehandlung“ sei dabei ausnahmslos extrabudgetär zu vergüten. Für die Leistung „Übernahme eines Patienten aus der Fernbehandlung“ müsse entweder eine extrabudgetäre Vergütung (ohne Bereinigung der MGV) erfolgen oder eine Vergütung aus einer zweckgebundenen pauschalen Erhöhung der Gesamtvergütung.

Beiden Anträgen stimmten die Vertreter einstimmig zu.

Sollte eine schnelle Einigung mit den Krankenkassen zur konkreten Ausgestaltung und Finanzierung gelingen, könnte das Modellprojekt schon zum 1. April 2019 starten. Nach einer kurzen Pilotphase in einzelnen Regionen soll das Angebot schnellstmöglich sachsenweit zur Verfügung stehen. Sachsen würde sich mit dem Modellprojekt an die Spitze der Bundesländer setzen, die diese neuen ärztlichen Leistungen zur Patientenversorgung flächendeckend ihren gesetzlich versicherten Bürgern anbieten.

                                                                                                        – Öffentlichkeitsarbeit/pfl –

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Resolution der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen

Das Terminservice- und Versorgungsgesetz stellt die Interessen der Patientinnen und Patienten in den Vordergrund und soll in der Öffent-lichkeit wahrgenommene Versorgungsprobleme nachhaltig lösen. Damit sind erhebliche Mehrbelastungen für Vertragsärzte und -psychotherapeuten verbunden – und dies im Kontext des Ärztemangels.

Die Finanzierung der dafür erforderlichen strukturellen Erweiterungen ist von den Vertragsärzten und -psychotherapeuten selbst zu tragen.

Wir erkennen an, dass ein erheblicher Teil der von Ärzten und Psychotherapeuten geforderten individuellen Mehrleistungen durch zusätz-liche Mittel vergütet werden. Dies ist ein zielführender Weg!
Wir sehen aber auch, und das mit großer Sorge, dass im Gesetzesentwurf Regelungsmöglichkeiten aufgenommen worden sind, die diesem positiven Ansatz und dem gewünschten Vergütungseffekt entgegenlaufen. Die geplante finanzielle Abwertung technischer Leistungen und die Möglichkeit der Bereinigung der Gesamtvergütung dann, wenn Leistungen in die extrabudgetäre Vergütung überführt werden, wirken der angestrebten Vergütungserhöhung entgegen. Damit besteht die Gefahr, dass quasi durch die Hintertür die gewollten Effekte der extrabudgetären Vergütung gar nicht eintreten bzw. marginalisiert werden! Das konterkariert die eigentliche Absicht des Gesetzgebers, die Versorgung zu verbessern und die dafür notwendigen zusätzlichen Mittel zur Verfügung zu stellen!
Die Erschließung von Rationalisierungsreserven zur Förderung der „sprechenden Medizin“ ist ein weitgehender Eingriff in die Selbstverwaltung und stellt langfristig die Selbstständigkeit der Ärzte in Frage.

Wir lehnen die alleinige Beteiligung von Kapitalgesellschaften an ärztlicher Leistungserbringung ab, da dies zu ungerechtfertigter Abschöpfung von Ressourcen zu Lasten der Solidargemeinschaft führt.
Deshalb fordern wir die Sächsische Staatsregierung sowie die politischen Parteien im Sächsischen Landtag und insbesondere den Bundes-gesetzgeber auf, darauf hinzuwirken, dass der Gesetzentwurf so verändert wird, dass es zu den Verrechnungen und den sonst zu befürchtenden deletären Folgen nicht kommen kann.

Dresden, 12. September 2018Dr. med. Stefan WindauVorsitzender der Vertreterversammlung