Die Neustrukturierung des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes in den Pilotregionen
Wir sind gestartet!
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir hören und lesen immer wieder von überfüllten Notaufnahmen, ineffizienten und mit langen Wegen verbundenen Bereitschaftsdiensten und Patienten, die wegen der Warterei die Nerven verlieren und auf medizinisches Personal losgehen – kurzum: Ärzte am Limit.
Dagegen gibt es, wie für so Manches, kein einfaches Mittel – und vor allem keines ohne Nebenwirkungen. Aber mit dem Erreichen der ersten Etappe der Bereitschaftsdienstreform in Sachsen haben wir jetzt den Weg für einen zukunftsträchtigen und effizient organisierten Bereitschaftsdienst geebnet.
Die Politik hatte der Vertragsärzteschaft aufgetragen, der übermäßigen Inanspruchnahme von Notaufnahmen durch die Errichtung von Bereitschaftsdienstpraxen an Krankenhäusern entgegen zu wirken – nicht zuletzt, weil der Sicherstellungsauftrag der KV auch die sprechstundenfreie Zeit mit umfasst. Unser Konzept scheint, nach den Erkenntnissen der ersten Wochen, aufzugehen.
Planmäßig – und wie auf der Vertreterversammlung im Oktober 2017 beschlossen – haben Anfang Juli fünf Bereitschaftspraxen in den drei Pilotregionen ihren Dienst aufgenommen. „Das wird eine Erfolgsgeschichte!“ sagte beispielsweise Knut Hinkel, der Geschäftsführer des Klinikums Mittleres Erzgebirge, zur Eröffnungsveranstaltung in Zschopau. Das stimmt mich hoffnungsvoll, denn auch die Rückmeldungen aus den Bereitschaftspraxen in Annaberg und Görlitz sowie Delitzsch und Eilenburg waren überwiegend positiv.
Gab es anfangs vereinzelt noch die Meinung, dass die Krankenhäuser doch ruhig generell die Versorgung außerhalb der Sprechzeiten niedergelassener Ärzte übernehmen sollten, so stellt sich die Reform des Bereitschaftsdienstes als vernünftige Alternative für die Bereitschaftsärzte und die Klinikärzte heraus. Wir erwarten eine spürbare Entlastung der Notaufnahmen und dass sich damit auch die Wartezeiten für die Patienten verkürzen. Erste positive Rückmeldungen gibt es bereits. Auch die Bereitschaftsärzte – manche nach anfänglicher und durchaus nachvollziehbarer Skepsis – sehen die Arbeitsbedingungen und das gute Zusammenspiel von Notaufnahme und Bereitschaftspraxis am gemeinsamen Empfangstresen überwiegend positiv. Zudem konnte ich erfahren, dass diese Zusammenarbeit sogar mit Wiedersehensfreude verbunden sein kann. Im Krankenhaus Zschopau zum Beispiel haben einige der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen in der Region ihr Assistenzjahr oder andere Praxisausbildungen absolviert – und treffen nun auf bekannte Gesichter, mit denen sich gut zusammen arbeiten lässt. Damit ist die Verzahnung von ambulanter und stationärer Betreuung offenbar auch förderlich für die Kollegialität untereinander.
Momentan gibt es erste Anzeichen dafür, dass Patienten zunehmend selbst in die Bereitschaftspraxis kommen und nicht unbedingt Hausbesuche erwarten. Wir hoffen, dass sich dieser Trend so weiter fortsetzt. Insgesamt bringt die Bereitschaftsdienstreform zweifellos eine Stärkung des ambulanten Sektors mit sich – genau wie vorgesehen. Und doch steckt der Teufel im Detail. Die Pilotphase im Sommer zu beginnen bedeutet auch, dass in der Urlaubszeit weniger Patienten zu betreuen sind. Und auch der Fahrdienst wird erst im Winter richtig gefordert – hier müssen wir intensiv beobachten, wie sich der Bereitschaftsdienst weiter entwickelt.
Und auch – oder gerade weil – erst kürzlich wieder ein Aufschrei gegen eine „Notfallgebühr“ ertönte, möchte ich nochmals auf diese für mich unabdingbare Forderung hinweisen. Es müssen das Bewusstsein der Patienten für ihre eigene Gesundheit geschärft und ihnen Wege aufgezeigt werden, wie sie gut und effizient behandelt werden können, ohne dass es zu einem Missbrauch teurer Strukturen kommt, was letztlich die Versorgung akut Kranker perspektivisch gefährdet.
Frau Kollegin Dr. Christine Wagner aus dem Dienstbereich Aue beklagte kürzlich, wie gedankenlos Patienten den Bereitschaftsdienst in Anspruch nehmen und ärztliche Leistungen geradezu vergeuden. „Weshalb müssen wir nachts und an den Wochenenden pro Einsatz bei Ausweitung des Einsatzgebietes zwei bis drei Stunden auf der Straße zubringen, um dem Patienten während eines zehnminütigen Hausbesuches zu erklären, dass das gestern verordnete Antibiotikum noch nicht die gewünschte Heilung bringen kann und Schmerzmittel nur helfen, wenn man sie auch nimmt?“, fragt sie in ihrem Brief, der der KV Sachsen vorliegt. Und genau diesen Missbrauch meine ich, wenn ich immer wieder auf die Notfallgebühr zurückkomme, denn ich halte dieses Steuerungselement nach wie vor für unentbehrlich und in einer Höhe von 20 Euro – das entspricht etwa drei Schachteln versteuerter Zigaretten – für durchaus moderat – und ich habe auch kein Problem damit, dass dies momentan keine populäre Forderung ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die erste Etappe der Umsetzung ist angelaufen, und ich kann jetzt schon sagen – der Mut zur Änderung hat sich gelohnt. Trotz mancher Zweifel Ihrerseits und trotz der entstandenen Zusatzkosten halte ich die Bereitschaftsdienstreform für ein zukunftsweisendes System, denn sie lässt weitere Möglichkeiten zu, die letztlich zur Entlastung der Ärzteschaft führen sollen – und werden. Und sie ist als „lernendes System“ angelegt. Die in der Pilotphase gewonnenen Erkenntnisse werden in die Weiterentwicklung einfließen und die Organisationsstruktur wird danach angepasst, bevor dann im Herbst 2019 der schrittweise Rollout bis 2021 erfolgen wird. Natürlich gibt es auch einzelne kritische Stimmen, aber was wir nicht erwartet hätten: Schon jetzt bedauern einige Kolleginnen und Kollegen, dass die Reform in ihrem Dienstbereich erst später wirksam wird.
Auf keinen Fall möchte ich an dieser Stelle verschweigen, dass die Bereitschaftsdienstreform (wenn auch erst voraussichtlich ab Anfang 2020) in Form der neuen Umlage die Vertragsärzte nicht unerheblich finanziell belasten kann. Für die Akzeptanz dieser Nebenwirkung danke ich den Kolleginnen und Kollegen und verspreche, dass wir zum einen so sparsam wie möglich wirtschaften werden, zum anderen aber auch weiterhin die Politik auffordern, das Bestellte auch vollständig zu bezahlen.
Zum Schluss möchte ich es nicht versäumen, mich bei allen zu bedanken, die so entschlossen an der Einrichtung der Bereitschaftspraxen mitgewirkt haben: allen Ärzten und dem medizinischen Personal in den Pilotregionen für ihre Einsatzbereitschaft und den Willen, neue Verantwortung zu übernehmen, den Kliniken für ihr Entgegenkommen, den Mitarbeitern der Fahrdienste und allen Mitarbeitern, die an der Planung, Konzeptionierung und Umsetzung mitgewirkt haben.
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
Ihr Klaus Heckemann