Neue Wirtschaftlichkeitsprüfung mit Zielquoten
In den KVS-Mitteilungen vom Januar und Februar 2018 wurde umfangreich über die neue Wirtschaftlichkeitsprüfung berichtet. Über Workshops und andere Zusammenkünfte erreichten die KV Sachsen zahlreiche Anfragen zu diesem Thema. Nachfolgend antwortet der Vorstandsvorsitzende der KV Sachsen, Dr. Klaus Heckemann, auf die am häufigsten gestellten Fragen.
Herr Dr. Heckemann, in den letzten Jahren galten die Richtgrößen als Orientierungswert. Warum wurde jetzt eine neue Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Zielquoten eingeführt?
Die Richtgrößenprüfung war in Sachsen aus meiner Sicht ein Prüfverfahren mit fairen Rahmenbedingungen für die Ärzte. Dies hat über viele Jahre zu nur wenigen Regressen geführt. Dennoch hatten viele Ärzte Angst vor Regressen und forderten die Politik auf, die Richtgrößenprüfung abzuschaffen. Nun war aber nicht zu erwarten, dass dieser Forderung ersatzlos nachgekommen werden würde. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass ohne Regularien die Kosten im Gesundheitssystem nicht im Rahmen zu halten sind. Daher hat er eine Ablösung der Richtgrößen durch ein anderes statistisches Prüfverfahren ermöglicht. Zielquoten sind aus meiner Sicht eine Möglichkeit, die Wirtschaftlichkeitsprüfung stärker unter medizinisch qualitativen Aspekten zu gestalten. Um die Ärzte nicht unvorbereitet in die neue Wirtschaftlichkeitsprüfung zu schicken, hatten wir die Zielquoten bereits für 2017 als Orientierung vereinbart.
Die Ziele gemäß Medikationskatalog sind so aufgebaut, dass für ein Indikationsgebiet alle zugelassenen Wirkstoffe in die Kategorien „Standard“, „Reserve“ und „Nachrangig“ eingeteilt wurden. Nun gibt es auch Wirkstoffe, die in mehreren Indikationen zugelassen sind und je nach Indikation in unterschiedliche Kategorien eingeordnet wurden. Wie kann das im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung abgebildet werden?
Da der Prüfungsstelle im Rahmen der Vorab-Prüfung keine versichertenbezogenen Daten vorliegen, sondern reine PZN-Verordnungssummen, kann sie das verordnete Arzneimittel keiner Indikation zuordnen. Zugunsten des Arztes wird daher jede Verordnung dieser Wirkstoffe der besten Kategorie des Medikationskataloges zugeordnet. Valsartan ist beispielsweise ein Reservewirkstoff bei Herzinsuffizienz. Bei Hypertonie ist der Wirkstoff als nachrangig zu verordnen eingestuft. In der Wirtschaftlichkeitsprüfung zählt jede Verordnung als Reserve und trägt damit zur Zielerfüllung bei.
Wenn ein Wirkstoff in einer Indikation des Medikationskataloges gelistet wird, der Wirkstoff jedoch hauptsächlich in einer Indikation außerhalb des Medikationskataloges verordnet wird, werden wegen der eben erwähnten fehlenden Indikationszuordnung alle Verordnungen in die Zielwertberechnung des Medikationskataloges und in die Vorab-Prüfung einbezogen. Beispielsweise Olanzapin ist im Medikationskatalog in der Indikation Depression / bipolare Störungen bewertet und als nachrangig eingestuft. Hauptsächlich wird Olanzapin aber bei Schizophrenie verordnet. Da auch diese Verordnungen in die Zielwertberechnung mit einfließen, wächst der Puffer für nachrangig zu verordnende Wirkstoffe. Dementsprechend niedriger ist der Zielwert für Standard- und Reservewirkstoffe. In diesem Beispiel betrifft das die Nervenärzte, deren Zielquote für den Medikationskatalog 2018 durch die Neuaufnahme von Olanzapin von 80,8 auf 77,8 Prozent abgesenkt wurde. Bei einer ggf. späteren Zielwertprüfung werden die außerhalb des Medikationskatalogs getätigten Verordnungen nach entsprechender Stellungnahme des betroffenen Arztes aus den der Prüfung unterworfenen Verordnungen herausgerechnet.
Was passiert mit Wirkstoffen, die in keiner Zielquote geregelt sind?
Diese Wirkstoffe werden im Rahmen der neuen Zielwertprüfung nicht geprüft. Das ist ein großer Vorteil für die Hausärzte. Sie können nun auch fachärztliche Weiterverordnungen übernehmen. Damit wird der Hausarzt als Ansprechpartner für den Patienten gestärkt und die Fachärzte werden entlastet. Die Übernahme dieser Verordnungen sollte jedoch in Absprache mit dem jeweiligen Facharzt erfolgen.
Die Zielerfüllung wird auf der Basis von definierten Tagesdosen (DDD) berechnet. Wie muss man sich das vorstellen?
Eine DDD ist die angenommene mittlere tägliche Erhaltungsdosis für die Hauptindikation eines Wirkstoffes bei Erwachsenen . Für Metformin sind das beispielsweise zwei Gramm oral. Eine Packung Metformin 500, 100 Stück enthält dementsprechend 25 DDD; eine Packung Metformin 1000, 50 Stück ebenfalls. Mithilfe der DDD kann man die Tagestherapiekosten von Wirkstoffen innerhalb einer Indikation direkt vergleichen, ohne die Packungsgröße oder die Dosierung separat berücksichtigen zu müssen. An diesem Beispiel sieht man auch, dass sich das Teilen von Tabletten nicht auf die DDD und damit auch nicht auf die Zielquote auswirkt, auch wenn es natürlich dennoch kostensparend ist.
Metformin ist ein spannendes Beispiel. Der Wirkstoff ist laut Medikationskatalog Standard bei der Therapie des Diabetes mellitus Typ 2. Immerhin noch als Reserve wird Sitagliptin eingestuft. Warum ist die Kombination der beiden Wirkstoffe nun aber nachrangig eingestuft? Die Arzneimittel-Richtlinie schließt die Verordnung von fixen Wirkstoffkombinationen nur aus, wenn das angestrebte Behandlungsziel mit therapeutisch gleichwertigen Monopräparaten medizinisch zweckmäßiger und/oder kostengünstiger zu erreichen ist.
Dieses Beispiel ist in der Tat nur anhand der Systematik des Medikationskataloges erklärbar. In der Nationalen Versorgungsleitlinie wird eine Kombination von Metformin und DPP-4-Inhibitoren sowohl von AkdÄ / DEGAM und DDG / DGIM erst in der dritten Stufe empfohlen. Für diese Kombination liegt kein Nachweis einer Reduktion von Mortalität oder kardiovaskulärer Morbidität vor. In der Frühen Nutzenbewertung hat der Gemeinsame Bundesausschuss den Beschluss gefasst, dass für die Fixkombination Metformin / Sitagliptin in allen Teilanwendungsgebieten kein Zusatznutzen belegt ist. Der Preis ist für die Einstufung zweitrangig. Dennoch heißt die Prüfung nicht grundlos Wirtschaftlichkeitsprüfung. Hier werden wir uns noch einmal mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in Verbindung setzen, die den Medikationskatalog erstellt hat.
Aus meiner Sicht muss außerdem betont werden, dass bei der Berechnung der meisten sächsischen Zielquoten die tatsächlichen Verordnungen, d. h. die Ist-Werte der jeweiligen Fachgruppe, zugrunde gelegt wurden. Die Hälfte der Ärzte erfüllt die meisten Zielquoten also jetzt schon. Und ich bitte meine ärztlichen Kolleginnen und Kollegen an dieser Stelle nachdrücklich, ihre Therapiehoheit wahrzunehmen. Medizinisch notwendige Therapien mit Kombinationspräparaten sollten nicht aufgegeben werden, nur weil dieses Präparat als nachrangig zu verordnen eingestuft wurde, wenn andererseits das betreffende Wirtschaftlichkeitsziel bereits erreicht wurde. Es ist sogar so, dass ein Nichtausnutzen des Spielraums die Ist-Quote erhöht und bei den Krankenkassen der Anschein erweckt wird, ein Großteil der Ärzte käme auch mit einer restriktiveren Zielquote aus.
Sie halten die Sorge einiger Ärzte, zukünftig auf Kombinationspräparate gänzlich verzichten zu müssen, also für unbegründet?
Ja! Bevor man Kombinationsarzneimittel auseinandernimmt, sollten zunächst Neueinstellungen auf Standard- bzw. Reservewirkstoffe oder langjährige Dauerverordnungen im nachrangigen Bereich geprüft werden. Außerdem wird nicht jede Indikation einzeln auf die Einhaltung des Zielwertes geprüft, sondern der Medikationskatalog insgesamt, so dass zwischen den Indikationen ausgeglichen werden kann. Wie schon erwähnt, orientiert sich die Zielquote am Durchschnitt der sächsischen Ist-Verordnungen. Rechnet man die eingeräumte Toleranz mit ein, bedeutet das für die Hausärzte, dass ungefähr drei Viertel der sächsischen Hausärzte ihr Verordnungsverhalten gar nicht verändern müssen.
Was sollen denn Ärzte tun, die derzeit weit von ihren Zielquoten entfernt liegen?
Der Medikationskatalog basiert auf zahlreichen wissenschaftlichen Grundlagen. Die First-Line-Therapie ist aber nicht für jeden Patienten geeignet. Eine progrediente Erkrankung lässt sich über den Medikationskatalog nicht abbilden. Wenn die Patientenklientel die Erreichung der Zielquote unter medizinischen Gesichtspunkten nicht hergibt, muss dies dokumentiert und im Falle einer Wirtschaftlichkeitsprüfung dargelegt werden. Auf keinen Fall sollte der Medikationskatalog als Positivliste gesehen werden, die alle nicht unter „Standard“ bzw. „Reserve“ aufgeführten Wirkstoffe verbietet. Ich empfehle anfragenden Ärzten, ihre quartalsbezogene Arzneimittel-Trendinformation im Mitgliederportal zu prüfen und erst einmal zu schauen, wie der Ist-Zustand der eigenen Praxis tatsächlich ist. Wenn dann weitere Fragen auftreten, stehen unsere Pharmakotherapieberaterinnen gern zur Verfügung.
Was tut die KV Sachsen darüber hinaus, um ihre Mitglieder vor drohenden Wirtschaftlichkeitsprüfungen zu bewahren?
Unsere Pharmakotherapieberaterinnen sind aktuell damit befasst, auf Basis der aktuellen Arzneimittel-Trendinformationen die Ärzte zu ermitteln, die am Weitesten von ihren Zielwerten entfernt sind und damit potentielle Kandidaten einer Zielwertprüfung wären. Diese werden in der nächsten Zeit kontaktiert, um ihnen eine persönliche oder schriftliche Beratung anzubieten. Weiterhin haben wir kürzlich ein Informationsschreiben an alle Ärzte versandt, die ihren NOAK-Zielwert bislang nicht erreicht haben. Hier ist noch einmal zu erwähnen, dass es dasZiel „Cumarine vs. NOAKs“ nicht mehr gibt. Es existiert nur eine Mindestquote für Apixaban und Edoxaban an allen NOAKs. Eine Umsteuerung auf ein anderes NOAK ist aus meiner Sicht in der Regel ohne medizinische Bedenken möglich.
Vielen Dank für das Interview!
– Verordnungs- und Prüfwesen/stu –