Unser neuer hippokratischer Eid – mit Freude und Kraft den Medizineralltag meistern
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
Ethik ist der Teilbereich der Philosophie, der sich mit den Voraussetzungen und der Bewertung des menschlichen Handelns beschäftigt.
Kein Teil unseres Lebens ist frei von Ethik – und besonders im Bereich des ärztlichen Behandelns müssen wir täglich, häufig auch unbewusst anhand unserer jeweils spezifischen Moral, viele Fragen beantworten und Antworten einordnen. Wohl dem, der eine gute Bildung, ein liebevolles Elternhaus und gute Lehrer oder Vorbilder hatte oder hat – ihm fällt moralisches Handeln möglicherweise leichter.
Wir Ärzte haben es leichter als manch andere Berufsgruppe, die am und mit Menschen arbeitet, denn für uns gibt es bereits seit dem 1. Jahrhundert n. Chr. eine moralische Richtschnur, den hippokratischen Eid – ius iurandum – benannt nach dem Arzt Hippokrates von Kos.
Diese erste grundlegende Formulierung der ärztlichen Ethik hat auch in heutiger Zeit noch eine hohe Bedeutung und wurde 1948 als Genfer Gelöbnis der Neuzeit angepasst. Nach kleineren Modifizierungen wurde dieses Gelöbnis im Oktober 2017 in Chicago grundlegend überarbeitet und liegt nun als Neufassung vor.
Viele Voraussetzungen sind seit mehreren tausend Jahren gleich geblieben, zum Beispiel, dass der Arzt weiterhin sein Leben dem Dienst an der Menschheit widmen und über Patientenbelange schweigen soll. Letzteres wurde im neuen Gelöbnis noch über den Tod des Patienten hinaus verlängert. Wurde im hippokratischen Eid noch besonderes Augenmerk auf die Achtung des Lehrers gelegt: „… den, der mich diese Kunst lehret, meinen Eltern gleich zu achten …“, so wird in der Neufassung die Dankbarkeit diesbezüglich auf sehr realistische Füße gestellt: „… meinen Lehrerinnen und Lehrern, … die ihnen gebührende Achtung und Dankbarkeit erweisen.“ Eine Entscheidung, die nun jeder selbst auslegen darf.
Ebenfalls neu im Gelöbnis ist die Verpflichtung, das medizinische Wissen nicht nur zum Wohle des Patienten einzusetzen, sondern auch zur Förderung des Gesundheitswesens. Im Sinne der Nachhaltigkeit reicht es also nicht aus, nur die eigene Praxis im Auge zu behalten, sondern dafür zu sorgen, dass es in der Gesundheitsversorgung weitergeht – das eigene Wissen also mitzuteilen und die Wege für die künftige Medizin möglichst nicht zu verbauen, sondern am besten gangbar zu halten.
Auf den ersten Blick irritierend ist der folgende Punkt: „Ich werde nicht zulassen, dass Erwägungen von Alter, Krankheit oder Behinderung, Glaube, ethnische Herkunft, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, politische Zugehörigkeit, Rasse, sexuelle Orientierung, soziale Stellung oder andere Faktoren zwischen meine Pflichten … treten“. Irritierend deshalb, weil es für die meisten zum Selbstverständnis des Arztberufes gehört, genauso zu handeln. Jedoch ist mit realistischem Blick auf unsere Zeit wohl sogar eine Notwendigkeit entstanden, dies erneut und ausführlicher niederzuschreiben. Denn auch wenn es uns nicht immer leicht fällt, mit neuen Mentalitäten oder Orientierungen zurechtzukommen – unser ärztliches Handeln dürfen diese Fragen nicht beeinflussen. Dies unterstreicht dann auch der letzte Satz des Gelöbnisses: „Ich werde, selbst unter Bedrohung, mein medizinisches Wissen nicht zur Verletzung von Menschenrechten und bürgerlichen Freiheiten anwenden.“
Ein wesentlicher Punkt im neuen Gelöbnis ist auch erstmals die Respektbekundung vor der Autonomie des Patienten. Ein Punkt, der uns das Behandeln tatsächlich erleichtern kann, denn er fordert das Mitdenken und Mitspracherecht des Patienten ein, so dass wir auch Entscheidungen des Patienten leichter akzeptieren, selbst wenn sie sich gegen von uns vorgeschlagene Behandlungsoptionen richten.
Für uns Ärzte ist der wichtigste neue Punkt jedoch ein Appell an uns selbst: „Ich werde auf meine eigene Gesundheit, mein Wohlergehen und meine Fähigkeiten achten, um eine Behandlung auf höchstem Niveau leisten zu können.“ Trotz allem Altruismus, auf dem unser Beruf fußt, ist dies doch das Signal, sich selbst nicht aus den Augen zu verlieren und dadurch tatsächlich mit mehr Freude und Kraft den Alltag zu meistern. Hier lässt sich bestimmt von den jungen und folgenden Arztgenerationen viel lernen, denn für diese zählt häufig nicht mehr die Karriere allein, sondern ein Berufsumfeld, das auch Zeit für familiäre und private Aktivitäten lässt.
Ein neues Jahr, ein neues Gelöbnis – und selbst wenn wir dieses nicht leisten mussten, wollten oder durften – diese Fassung verdient besonders in den jetzigen Zeiten unsere unbedingte Aufmerksamkeit. Es wäre regelrecht phantastisch, wenn es uns allen ein Bedürfnis wäre, sich an dieses Gelöbnis zu halten.
Herzlichst Ihre
Grit Richter-Huhn
Das modernisierte Genfer Gelöbnis
Nachfolgend finden Sie die vom Weltärztebund autorisierte deutsche Fassung des überarbeiteten Genfer Gelöbnisses, das im Oktober 2017 in Chicago herausgegeben wurde. Grundlage des Genfer Gelöbnisses aus dem Jahr 1948 ist der sogenannte Eid des Hippokrates, der bereits mehrfach revidiert, sprachlich überarbeitet und dabei unter anderem von religiösen Inhalten befreit wurde.
Deklaration von Genf – das ärztliche Gelöbnis
Als Mitglied der ärztlichen Profession:
- gelobe ich feierlich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen.
- Die Gesundheit und das Wohlergehen meiner Patientin oder meines Patienten werden mein oberstes Anliegen sein.
- Ich werde die Autonomie und die Würde meiner Patientin oder meines Patienten respektieren.
- Ich werde den höchsten Respekt vor menschlichem Leben wahren.
- Ich werde nicht zulassen, dass Erwägungen von Alter, Krankheit oder Behinderung, Glaube, ethnischer Herkunft, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, politischer Zugehörigkeit, Rasse, sexueller Orientierung, sozialer Stellung oder jeglicher anderer Faktoren zwischen meine Pflichten und meine Patientin oder meinen Patienten treten.
- Ich werde die mir anvertrauten Geheimnisse auch über den Tod der Patientin oder des Patienten hinaus wahren.
- Ich werde meinen Beruf nach bestem Wissen und Gewissen, mit Würde und im Einklang mit guter medizinischer Praxis ausüben.
- Ich werde die Ehre und die edlen Traditionen des ärztlichen Berufes fördern.
- Ich werde meinen Lehrerinnen und Lehrern, meinen Kolleginnen und Kollegen und meinen Schülerinnen und Schülern die ihnen gebührende Achtung und Dankbarkeit erweisen.
- Ich werde mein medizinisches Wissen zum Wohle der Patientin oder des Patienten und zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung teilen.
- Ich werde auf meine eigene Gesundheit, mein Wohlergehen und meine Fähigkeiten achten, um eine Behandlung auf höchstem Niveau leisten zu können.
- Ich werde, selbst unter Bedrohung, mein medizinisches Wissen nicht zur Verletzung von Menschenrechten und bürgerlichen Freiheiten anwenden.
Offizielle deutsche Übersetzung der Deklaration von Genf, autorisiert durch den Weltärztebund.