Integrieren oder spalten?
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
„Jamaika“ ade – „Groko“ in spe? – wir wussten es zum Zeitpunkt, da diese Gedanken zu Papier gebracht wurden, noch nicht.
Wir dürfen gespannt sein, ob und wie eine künftige Bundesregierung die drängendsten Probleme der Gesundheitspolitik – Fachkräftemangel in der Pflege, Sicherstellung der ärztlichen Versorgung insbesondere auf dem Lande und die nachhaltige Finanzierung des Gesundheitssystems – angehen wird. Die bisherigen – im Vorgeplänkel eventueller Koalitionsverhandlungen vernehmbaren – Lösungsansätze erscheinen, vom Ende her gedacht, wenig hilfreich. Wieder soll es die Bürgerversicherung richten, ungeachtet dessen, dass auch der bisherigen Koalition zugeneigte Experten ziemlich unisono den durchschlagenden und nachhaltigen Effekt der Einführung einer Bürgerversicherung bezüglich einer spürbaren und dauerhaften Beitragssenkung bezweifeln, einmal davon abgesehen, dass eine Einführung nicht von heute auf morgen durchführbar ist.
Und wieder ist – zumindest für mich und jetzt – nicht erkennbar, dass sich die möglichen Koalitionspartner nicht nur mit der Verbreiterung der Einnahmenbasis in der GKV, sondern endlich mit der Steuerung des Zugangs zu Leistungen im System beschäftigen. Das ist für jeden der möglichen Koalitionspartner unpopulär, insbesondere mit Blick auf noch nicht völlig ausgeschlossene Neuwahlen.
Ich frage mich, was die Politik eigentlich machen will, wenn die Einnahmebasis der gesetzlichen Krankenversicherung, selbst wenn man die privaten Versicherungen komplett in die GKV überführt hätte, noch immer nicht ausreichen würde, um die Kosten zu decken. Dann bliebe nur noch die offene Rationierung. Und man komme mir bitte nicht mit dem Argument der momentan sprudelnden Einnahmen. Denn jedem sollte klar sein, dass diese niemals von Dauer sein können, zumal das demografische Problem bis heute noch gar nicht akut geworden ist. Dabei ist es nutzlos oder greift bestenfalls kurzfristig, die Finanzierungsbasis zu erweitern, wenn nicht die strukturellen Probleme angegangen werden: hier zuallererst das ineffiziente, aber bequeme, unbegrenzte Leistungsversprechen! Ein wesentlicher Hebel dazu wäre eben die Steuerung des Systems durch unterschiedliche Tarife, Notfallgebühren, sinnvolle Versorgungsstrukturierung im ambulanten wie zwischen ambulantem und stationärem Bereich. Ich wünsche der Politik zum neuen Jahr den Mut, endlich die Zukunft zu gestalten und den Kopf – wider besseres Wissen – nicht in den Sand zu stecken, auch wenn solche Veränderungen schmerzhaft sein können.
Bezüglich Sachsens, der fünf neuen Länder und der strukturschwachen Gebiete in ganz Deutschland bewegt mich ein ganz anderes Problem, was meines Erachtens noch viel zu wenig Beachtung findet.
Auf Initiative Bayerns wird an einer Reform des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleiches, kurz Morbi-RSA, gearbeitet. Er soll um eine Regionalkomponente erweitert werden. Was heißt das im Klartext? Mittel aus dem Morbi-RSA würden dann von Regionen mit relativ niedrigem Kostenniveau in solche mit überdurchschnittlichen Kosten fließen. Dieses Ansinnen wird mit bestehenden Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Krankenkassen begründet, was auch nicht völlig von der Hand zu weisen ist.
Verkannt wird aber, dass diese unterschiedlichen Kostenniveaus auch historisch gewachsen sind und nicht per se sachlich gerechtfertigt. Sie sind auch Ausdruck dessen, dass eben der beabsichtigte Ausgleich / Angleich noch nicht stattgefunden hat! Würde diese Regionalisierungskomponente so beschlossen und umgesetzt, wären die großen Städte die Gewinner, die ländlichen Regionen die Verlierer – in Ost und West. Global gesehen würde aber Geld aus dem Osten in den Westen abfließen, weil – trotz lokaler Unterschiede – das Kostenniveau im Westen eben noch immer höher ist als im Osten.
Das würde bedeuten, dass die Versorgungsunterschiede zementiert würden. Es geht mir nicht um eine Schwarz-Weiß-Malerei. Änderungen sind nötig. Angesagt ist es, den Morbi-RSA weniger manipulationsanfällig auszugestalten, dann regeln sich die Geldflüsse zwar nie „gerecht“, aber eher nach dem tatsächlichen Versorgungsbedarf! Die jetzige Form der Aufnahme einer Regionalkomponente würde Besitzstände als einmal gegeben wahren und dort, wo eine Angleichung dringend erfolgen muss, diese erschweren oder gar verhindern. Aus meiner Sicht wäre eine solche Maßnahme genauso zu hinterfragen wie eine Abschaffung der PKV.
Ob sich die Politik in Betrachtung dieser Zusammenhänge wohl wieder nur von der Erzielung von Mehrheiten leiten lässt, oder ob sie auch denen versucht gerecht zu werden, die nicht die Mehrheit sind? Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Minderheit zur Mehrheit wird. Es gilt die Grundsatzfrage: Integrieren oder spalten?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihnen, Ihren Familien, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wünsche ich, auch im Namen des Vorstandes, alles Gute für das Jahr 2018.
Ihr Stefan Windau