Wohin geht die Reise, wohin sollte sie gehen?
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
seit Jahren erleben wir die zunehmende Pauschalierung ärztlicher Leistungen, was dazu geführt hat, dass insbesondere hausärztliche Leistungen qualitativ nicht mehr überzeugend darstellbar sind. Damit fehlt natürlich die Grundlage, die Effizienz dieser Leistungen zu messen. Akteuren, welche Zweifel an dieser Effizienz haben oder diese bewusst ignorieren wollen, ist damit Tür und Tor geöffnet. An die Stelle konkreter Leistungen tritt dann der Begriff Betreuung. Dessen Beliebigkeit führt verständlicherweise eher zu Misstrauen anstatt zu Verlässlichkeit: Gewiss, nichts ist so stabil wie die Veränderung. Aber etwas konkreter darf´s schon sein. Auch wenn Termini wie Anamnese, Durchführung und / oder Veranlassung von organsystembezogener oder -übergreifender Diagnostik und Therapie sowie Verknüpfung der Ergebnisse dem Einen oder Anderen banal erscheinen. Greifbarer sind sie auf jeden Fall.
Damit ist unsere Arbeit natürlich noch lange nicht getan. Die medizinische und die damit eng verbundene Sozialbürokratie in unserem Land treiben uns in den Spagat zwischen diesen und dem wirklichen medizinischen Wohl des Patienten, wenn wir unserem ärztlichen Ethos treu bleiben wollen. Aber auch Patienten merken zunehmend, dass sie von dieser Bürokratie beherrscht werden. Stattdessen müssen sozialrechtliche Ansprüche grundsätzlich ableitbar sein aus einer elektronisch weiterverarbeitungsfähigen Kodierung von Diagnosen und ärztlichen Einzelleistungen. Mit dieser standardisierten ausreichenden Beschreibung des Zustands des Patienten sowie der daraus gezogenen therapeutischen Konsequenzen muss die Zuständigkeit des Arztes enden. Im Gegensatz dazu werden mit dem bürokratischen Massengeschäft nach dem Motto Papier ist geduldig – man darf hinzufügen, elektronische Speichermedien sind noch viel geduldiger – derzeit noch ärztliche Ressourcen in Größenordnungen verschwendet. Viele Länder Europas machen es uns vor, wie es besser geht mit einer flächendeckend leistungsfähigen IT-Infrastruktur verbunden mit Vernunft im Datenschutz. Bei beidem hinkt Deutschland deutlich hinterher.
Einzelleistungen verdeutlichen nicht nur, von wem sie erbracht werden, sondern anhand von notwendigen oder aber ausbleibenden Folgeleistungen auch mit welchem Ergebnis. Die Zuordnungsfähigkeit von entsprechenden Einzelleistungen zum Erbringer würde deutlich machen, dass wir eine spezialisierte ambulante geriatrische Versorgung grundsätzlich überhaupt nicht brauchen und eine ebensolche palliativmedizinische Versorgung in viel geringerem Umfang als von der Politik ausgemacht. Das meiste davon kann auch weiterhin der Hausarzt selbst leisten und für das, was darüber hinausgeht, muss er die Fäden in der Hand behalten. Das heißt in keiner Weise, sich der Fortbildung auf diesen Gebieten zu verweigern, im Gegenteil, aber sie muss neben dem laufenden Praxisbetrieb möglich sein.
Ein (Fast-)Alles-umsonst-System ist natürlich manipulationsgefährdet. Eine finanzielle Beteiligung des Patienten je nach Einkommen zum Beispiel zwischen 0,1 und 10 % der Kosten allerdings ohne jegliche Befreiung wäre die Lösung. Wenn dafür Boni abgeschmolzen würden, welche die Krankenkassen heute für fragwürdige Dinge ihren Versicherten gewähren, brauchte der Patient dafür noch nicht einmal extra Geld aufzubringen. Über Nacht würde sich die angespannte Finanz- und mehr noch Personalsituation entspannen. Verringern würde sich dadurch sicher auch die verbreitete Präferenz ärztlichen Nachwuchses für eine Anstellung statt der eigenen Niederlassung, wenn man auch bei letzterer leichter die Zuversicht behält, die Arbeit schaffen zu können.
Wagen wir doch, uns auf diesen Weg zu machen – gemeinsam mit Krankenkassen und Politik.
In kollegialer Verbundenheit
Ihr Axel Stelzner