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Gesundheitspolitische Farbenlehre


Liebe Kolleginnen und Kollegen,

gerade weil die gesundheitspolitischen Themen nicht der Renner im Bundestagswahlkampf sein werden, ist es umso wichtiger, sich die Programme der Parteien zur Wahl mit Blick auf die Thesen zur Fortentwicklung des Gesundheitssystems genauer anzuschauen. Dabei ist geradezu augenfällig, aber auch nicht verwunderlich, dass die Schnittmenge bei CDU, SPD, FDP und Grünen recht groß ist. Natürlich gibt es noch Unterschiede, und auch Nuancierungen sind wichtig, aber die Unterschiede sind nicht wirklich grundsätzlich. Sich wirklich stark unterscheidende Programme vertreten nur Die Linke und die AfD.

Bitte, auch wenn es etwas mühevoll ist, und der Eine oder Andere sich nach dem Sinn des Unterfangens fragt, schauen Sie in die Parteiprogramme und machen Sie sich selbst ein Bild! Denn es ist sehr wesentlich, was da in einer gewissermaßen informellen größtmöglichen Koalition, weiterentwickelt bzw. auf den Weg gebracht werden soll, wesentlich für unsere Patienten und für uns selbst!

Eines ist klar: Vieles von dem, was jetzt Teil der Programme ist, wird sich in einem künftigen Koalitionsvertrag wiederfinden, nur entsprechend der dann gültigen Farbenlehre modifiziert. Und wie wir es in der aktuellen Legislaturperiode erlebt haben, wird es wohl so bleiben, auch künftig dürfte der Koalitionsvertrag umgesetzt werden.

Ich kann hier nur einiges herausgreifen:

Kernaussagen finden sich zu Versorgungs- und Vergütungsstrukturen. „Sektorenübergreifend“ ist das neue und alte Zauberwort. Darin lässt sich manches verpacken, was letztlich zu noch mehr Kommerzialisierung führen wird und andererseits zu stärkerer staatlicher Einflussnahme führen soll (und wird). Klar ausgedrückt geht es um mehr Vertragsfreiheit, um noch mehr Wettbewerb, um die Angleichung der Vergütungssysteme zwischen ambulant und stationär, um mehr Transparenz. Letztlich ist die Angleichung ambulant-stationär gemeint und darüber ein Umbau des gesamten Systems.

Die notwendige Aufwertung und Verbesserung der Pflege und ihrer Vergütung, gegen die niemand wirklich etwas haben kann, wird aber auch als Vehikel zu einem schleichend daherkommenden, aber tiefgreifenden Systemwandel benutzt. Sinnvolle und gut geregelte Delegation soll durch die strukturell untersetzte Substitution ärztlichen Handelns durch Gesundheitsfachberufe „auf Augenhöhe“ mit dem Arzt erweitert werden. Die Gründe dafür sind vielfältig. Hinter manchem scheinbar greifenden Argument steckt in Wirklichkeit Ideologie. Natürlich wird man mir reflexhaft vorwerfen, hier verteidigt ein Ärztefunktionär wieder einmal nur die Pfründe der Ärzteschaft. Hier zu sagen, „nein, das tue ich nicht“, wäre sicherlich unglaubwürdig, aber das bloße Reduzieren auf den Vorwurf der Klientelpolitik wäre ziemlich arrogant und ignorant.

Natürlich brauchen wir unter den sich ständig verändernden Rahmenbedingungen im Gesundheitssystem auch neue Ansätze. Aber der Wunsch nach Substitution ärztlichen Handelns, von den Ideologen und Interessenvertretern einmal abgesehen, entspringt doch ganz überwiegend aus dem (nachvollziehbaren) Versuch der Politik, auf diesem Weg Sicherstellungsprobleme etc. zu lösen. Für alles andere reicht die Delegation; und da ist sie auch sinnvoll. Wir haben, und darin sind sich wohl die Meisten einig, ein im internationalen Vergleich sehr gut funktionierendes Gesundheitssystem. Das hat sicherlich eine Ursache auch darin, dass der direkte Zugang zum Arzt ein Kernelement und ein wesentlicher Teil seiner Effizienz ist.

Ist es nicht eher angebracht, unser gutes System dort zu verbessern und an den Stellen zu „heilen“, an denen es „krank“ ist: am uneingeschränkten Leistungsversprechen der Politik gegenüber den Versicherten? Ist es nicht angebracht, endlich den Mut zu haben, die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen zu strukturieren, und zwar innerhalb der Versorgungsebenen in der vertragsärztlichen Versorgung und zwischen ambulant und stationär? Die verfasste Ärzteschaft hatte sich lange Zeit der Thematik einer sinnvollen Patientensteuerung nicht wirklich geöffnet und sich eher mit Verteilungskämpfen beschäftigt. Wahr ist aber auch, dass Teile der Politik Letzteres mit voller Absicht induziert haben. Obwohl die Vertragsärzteschaft seit mindestens 2011 fundierte Vorschläge zur Steuerung vorgelegt hatte und dies auch weiterhin tut. Zur Wahrheit gehört ebenso, dass die Politik all dies mit fadenscheinigen Begründungen abgelehnt hat, weil solche Maßnahmen unpopulär sind.

Sollten wir nicht lieber das Bewahrenswerte auch bewahren und nicht leichtfertig aufs Spiel setzen? Versuchen wir das System dort zu verbessern, wo es verbessert werden muss und auch verbessert werden kann, statt mit dem nächsten Aktionismus Schaden anzurichten!

Wir Ärzte und Psychotherapeuten sollten der Politik die Hand dazu ausstrecken. Die Politik kritisierte die Ärzteschaft teils zu Recht. Gleichermaßen muss sich die Politik aber den Vorwurf bzw. die Forderung gefallen lassen, endlich dieses gute System nicht weiter durch Unterlassen der Einführung einer Steuerung zu gefährden, sondern es zu stärken, indem sinnvoll Regeln eingeführt werden, wie es ressourcenethisch und dabei für den einzelnen Patienten angemessen genutzt und erhalten werden kann!

Mit freundlichen kollegialen Grüßen

 

Dr. med. Stefan Windau