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KVS-Mitteilungen

KVS-Mitteilungen - Ausgabe 04/2008

Mehr Wettbewerb – mehr Gesundheit?

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

nachdem viele Kostendämpfungsgesetze die Misere in der GKV nicht beheben konnten, verordnete die Große Koalition mehr Wettbewerb. Sicherheitshalber brachte sie ihr Anliegen gleich im Namen „GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz“ unter. Seitdem ist die Vertragslandschaft in der Tat wesentlich bunter geworden. Allerdings sehe ich es als höchst problematisch an, dass der zersplitterten Ärzteschaft der (vereinte) Bund der Krankenkassen gegenübersteht. Wenn die Unterfinanzierung in der ambulanten Medizin nicht verschwindet, ist der Konflikt vorprogrammiert: Die Ärzte wollen ihre Leistungen verständlicherweise angemessen honoriert haben, die Krankenkassen wollen sparen. Unter dem Deckmantel (des politisch verordneten) Wettbewerbes werden sich die Kassen die besten Rosinen herauspicken wollen, sprich jene Ärzte und Arztgruppen heraussuchen, die billig und auch willig sind. Angeblich geht es dann um mehr Qualität zum Wohle des Patienten, in Wahrheit aber nur um den Preis.

Allzweckwaffe

Wettbewerb kann Schmerzen verursachen (wie unsere Titelseite zeigt), aber geht er deshalb immer mit einer Verrohung der Sitten einher? Eine Behauptung, der viele vermutlich nicht zustimmen. Aber der Wettbewerb soll ja auch das Geschäft beleben. Diese allgemeine These wiederum unterschreiben sicher die meisten. Wohl deshalb hat es sich eingebürgert, dass zunehmend nach der Allzweckwaffe – mehr Wettbewerb – gerufen wird, wenn es vorangehen soll. Bei diesem inflationären Gebrauch besteht für meinen Geschmack allerdings die Gefahr, dass der Begriff in die Beliebigkeit abzugleiten droht, nach dem Motto: Ein Schlagwort und jeder meint etwas anderes.

Im Gesundheitswesen ließ die Politik von Schwarz-Gelb über Rot-Grün bis Schwarz-Rot wohlwollend oder billigend zu, dass hunderte Gesetzliche Krankenkassen überwiegend das gleiche anboten. Jede sollte im Wettbewerb unter marktwirtschaflichen Bedingungen seine Chance bekommen.


Rund 1.200 Kassen waren es 1991. Wem hat das genützt? Seit einigen Jahren beklagt die Politik den Wildwuchs und rudert wieder kräftig zurück. Jetzt haben wir noch gut 200 Krankenkassen. Wie das Beispiel zeigt, nicht an jeder Stelle muss Wettbewerb (um jeden Preis) immer gesund und vorteilhaft sein.

Aktionärsrendite

Und für wen bringt der jetzt entfachte Wettbewerb unter der Fuchtel des Staates Vorteile? Der Gesundheitsmarkt, was man darunter auch verstehen mag, verspricht für diese und jene Beteiligten sicher ein gutes Geschäft. Wenn wir aber nicht aufpassen, bleiben Patienten und viele Kollegen auf der Strecke. Wie gut und wie lange sich Mangel staatlich verwalten lässt, haben wir hinter uns. Wollen wir jetzt ein staatszentriertes Gesundheitswesen, wie derzeit von der Politik vorangetrieben? Wollen wir wirklich für die Aktionärsrendite von Großkliniken oder ausländischen Kapitalgebern arbeiten?

Ich lehne selektive Verträge nicht per se ab, bin jedoch entschieden dagegen, wenn damit der Ausstieg aus dem Kollektivvertragssystem und die Aushöhlung des Sicherstellungsauftrages in der Fläche verbunden sind. Bei Einzelverträgen sitzen die Krankenkassen auf jeden Fall am längeren Hebel, mit den „gleichlangen Spießen“ in einem fairen Vertragsgeschäft wird es dann schwierig. Auf dem FDP-Gesundheitskongress im Februar drohte Herr Sjuts (Vorstandsvorsitzender der Deutschen Betriebskrankenkasse) dazu ziemlich unverhohlen: „Wenn man Wettbewerb will, wird man nicht mehr jeden mitnehmen können.“ Soll der Wettbewerb im Gesundheitswesen dazu führen, dass sich die Ärzte „kannibalisieren“ – sich eine Gruppe auf Kosten der anderen Vorteile verschafft? Oder sollte Wettbewerb nicht eher mehr Transparenz und mehr Qualität für alle Vertragspartner beinhalten?

KVen stellen sich Wettbewerb

Grundsätzlich steht für mich außer Frage, dass sich KVen dem Wettbewerb stellen. Dazu werden sie sich ändern und neu ausrichten müssen.


Die Dienstleistungsfunktion für die niedergelassenen Ärzte und die Interessenvertretung gegenüber der Politik muss dabei noch mehr in den Vordergrund treten und vor allem auch öffentlich gemacht werden. Dieser Prozess ist im Fluss, darüber wird auch an dieser Stelle noch öfter zu schreiben sein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

das Thema Schiedsamtsverhandlung mit der AOK zur Gesamtvergütung für 2007 ist leider immer noch offen. Ende April steht nun ein Termin, der einen Abschluss bringen soll. Insofern ist hier noch nichts zu kommentieren. Allerdings las ich erst kürzlich, dass die Allgemeinen Ortskrankenkassen 2007 fast eine Milliarde Überschuss erwirtschafteten, weit mehr noch als im Vorjahr. Wohl deshalb ist man mit Geldern für die Werbung in Sachsen so überaus großzügig. Ob auf großen Plakatwänden, in Zeitschriften, auf der Kinoleinwand, selbst als Videoclip im Onlineauftritt von Tageszeitungen – überall begegnet einem das „grüne AOK-Schweinchen“. Wer so viel Geld für den Wettbewerb ausgibt, sollte doch für die ambulante Versorgung noch etwas draufsatteln können, oder?

Mit freundlichen kollegialen Grüßen

 

 

 

 

Ihre Stellv. Vorstandsvorsitzende
Ulrike Schwäblein-Sprafke